Karrierekolumne

Karrierekolumne-Archiv

Heft 03/23 Tun oder reden?

„Klar ist Wissenschaftskommunikation wichtig”, sagt Teilnehmer Wolfgang in einem Karriere-Workshop. „Aber als Chemiker werde ich fürs Problemlösen bezahlt. Kommunikation übernimmt – zumindest bei einem Großkonzern – die PR-Abteilung.” 

Werden wir fürs Tun oder fürs Reden bezahlt, oder müssen wir beides können? Ist Wissenschaftskommunikation ein eigener Berufszweig für Leute, die den Problemlöser:innen diese Tätigkeit abnehmen? Oder etwas, das zum Alltag aller Wissenschaftler:innen gehört? 

In allen Berufszweigen müssen wir kommunizieren können, und das immer angepasst an die jeweilige Situation. Das gilt auch für diejenigen, bei denen das nicht explizit in der Berufsbezeichnung steht. 

Die Kommunikation mit Wissenschaftler:innen des eigenen Spezialgebiets an der Hochschule ist nur ein Teil des Ganzen: Auf speziellen Konferenzen müssen Sie ein gutes Bild abgeben. Ihre Publikationen beurteilt ein kleiner Kreis Ihrer fachlichen Nische. Bei Drittmittelanträgen ist Ihre Leserschaft bereits breiter: Sie müssen für Kolleg:innen aus anderen Fachbereichen verständlich und relevant erscheinen. Wenn Sie Kooperationen beginnen, dann meist außerhalb Ihrer Kernkompetenz. Ganz mutige Wissenschaftler:innen stellen sich der Quelle ihrer Gelder, den Steuerzahler:innen, und kommunizieren mit Laien. 

Außerhalb der Hochschule ist der Schritt aus unserer hoch spezialisierten Umgebung heraus meist abrupt. Die Fähigkeit, Ihre Arbeit vor einer Chefin zu rechtfertigen, die einen Abschluss im Finanzwesen oder als Juristin hat, fällt nicht vom Himmel, sondern Sie müssen sie sich erarbeiten. Ebenso sind die Hintergründe Ihrer Kolleg:innen und externer Kontakte wie Kunden oder Zulieferer oft breiter gestreut als an der Hochschule. 

Wir alle müssen also in unserem Berufsleben über unsere Arbeit sprechen, ob wir das wollen oder nicht. Keine PR-Abteilung nimmt uns diese Arbeit ab. Die gute Nachricht ist: Den meisten macht es Spaß, sobald sie sich darauf einlassen. Es geht ja nicht darum, etwas plump zu vereinfachen, sondern die Bedeutung unseres Themas einer bestimmten Zielgruppe verständlich zu machen. Das zu erreichen, verschafft Genugtuung. 

Sie werden in Ihrem Beruf fürs Tun und fürs Reden bezahlt. Versuchen Sie also, beides zu beherrschen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 02/23 Wer braucht schon eine Stellenanzeige?

In einem Workshop diskutieren wir, welche Wege es gibt, sich zu bewerben. Die meisten Bewerbenden wählen den klassischen Weg, die Reaktion auf eine Stellenanzeige. Gabrielle eröffnet die Diskussion: „Ich habe gehört, dass ich mich auch initiativ bewerben kann.“ „Und ich habe gehört, dass das Schwachsinn ist,” erwidert Theo wenig diplomatisch, „habt Ihr nicht Dr. Neubauer bei der Podiumsdiskussion des Karrieretags gehört? Sie hat gesagt, man solle nicht seine eigene Zeit und die des Unternehmens verschwenden.” „Für welche Firma arbeitet Dr. Neubauer?”, erkundige ich mich. „Bei einer riesigen Pharmafirma, die sollte das wissen.” 

Offene Bewerbungen können für große Firmen schwer zu handhaben sein: Wohin soll die Personalabteilung diese schicken? Bleibt das unklar, sind offene Bewerbungen meist Zeitverschwendung. Bei Mittelstand und Start-ups sieht es hingegen anders aus: Diese sind weniger sichtbar als die Großen und müssen deshalb viel weniger Bewerbungen handhaben. 

Eine offene Bewerbung zu schreiben, ist schwieriger, als auf eine Stellenanzeige zu reagieren. Ihr fehlt das Gerüst, mit dem Sie die Bewerbung strukturieren können. Sie sollten also überlegen, wie eine plausible Stellenanzeige aussehen könnte. Deren Inhalt konstruieren Sie sich aus Anzeigen für ähnliche Positionen derselben Firma oder eines Konkurrenten. Schreiben Sie Ihre Bewerbung für dieses hypothetische Szenario und erwähnen am Ende des Anschreibens, für welche Arten von Stellen Sie offen wären. Dabei sollten Sie eine plausible Breite an Positionen andeuten: Sie wollen weder als unflexibel noch als verzweifelt wahrgenommen werden. 

An Theos Stirn kann ich ablesen, dass er nach Argumenten sucht, um seine Aussage zu verteidigen. „In vielen Fällen gibt es gar keine Chance auf eine Stelle, sonst würde die doch ausgeschrieben”, wirft er ein. Mir persönlich ist es zweimal passiert, dass ich einen Hinweis bekam: Firma X will in naher Zukunft eine Stelle besetzen. In beiden Fällen bewarb ich mich, ohne dass die Stellen ausgeschrieben waren und – Überraschung – erhielt ein Angebot. 

„Ohne Netzwerk und die Tipps daraus sind offene Bewerbungen in der Tat ein hartes Pflaster”, versöhne ich die Aussagen von Gabrielle und Theo. Bei Bewerbungen auf Stellenanzeigen kann es schwierig sein, hervorzustechen. Bei Initiativbewerbungen müssen Sie herausfinden, wer sich überhaupt für Sie interessieren könnte.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 01/23 Probe und Gegenprobe

In einem Karriereworkshop besprechen wir Anschreiben. Georg hat seine Bewerbungsunterlagen mitgebracht, die wir gemeinsam analysieren. 

„Ich bin ein enthusiastischer und breit interessierter Chemiker …”, lese ich vor. „Ich würde gerne für Ihre Firma arbeiten, die bekanntermaßen führend im Bereich der responsiven Polymere ist.” Georg springt gleich in die rhetorische Pause, die ich nach den beiden Sätzen lasse. „Ich finde es sehr schwer, mich selbst zu loben, die Arbeitgeber zu loben. Ich habe das Gefühl, ich schreibe nur Allgemeinplätze.” 

Georg hat recht und ist damit nicht alleine. In den meisten Anschreiben steht ein Abschnitt, den viele Bewerbende als verpflichtendes, gegenseitiges Bauchpinseln empfinden. Das muss nicht sein. 

Selbstlob ist nicht nötig, wie in der Kolumne „Show, don‘t tell” (Nachr. Chem. 2019, 67(3), 23) beschrieben. Denken Sie eher in die Richtung: Welche Verbindung gibt es zwischen mir und dem Arbeitgeber? Was habe ich, das kein anderer hat? Und: Was bietet dieser Arbeitgeber, das andere kaum bieten? Wenn Sie diese Fragen nicht beantworten können, sollten Sie noch Zeit in Selbstanalyse und Recherche stecken. Sonst erhalten Sie im schlimmsten Fall das Angebot eines Arbeitgebers, der nicht zu Ihnen passt. 

„Aber wie kann ich wissen,“ entgegnet Georg, „dass ich wie eine Person mit authentischem Interesse an genau dem Arbeitgeber klinge?” 

Um das herauszufinden, nehmen Sie zuerst die Hauptaussagen unter die Lupe, mit denen Sie sich selbst beschreiben und machen ein Gedankenexperiment: Könnte Ihre Labornachbarin genau denselben Satz schreiben? Das ist der Fall bei Sätzen wie: „Ich habe großes Organisationstalent“. Hier nennen Sie nur ein lebloses Attribut, geben der Leserschaft aber keinen Grund, Ihnen zu glauben. Wenn Sie aber schreiben: „Bei meiner Mitwirkung beim Organisations-Team für die Online-Konferenz XYZ lernte ich, welche Fallstricke zu überwinden sind, wenn Teilnehmende aus verschiedenen Zeitzonen und Kulturen zusammenkommen.“ Ein solches Erlebnis können nur wenig andere vorweisen. 
Dann machen Sie den gleichen Test für Ihre Aussagen zum Arbeitgeber. Wenn sich beispielsweise mehrere Firmen als „führend im Bereich responsiver Polymere“ beschreiben, dann müssen Sie weiter nachforschen, was diesen Arbeitgeber einzigartig macht.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 12/22 Keine Details

Ich mache ein Interviewtraining mit einer Gruppe Postdocs, die eine Karriere außerhalb der Universität suchen. „Worum geht es in Ihrer Forschung?” frage ich Afsheen. Nach fünf Minuten unterbreche ich ihre Antwort. „Sie lassen Ihre Botschaft von Details überschatten”, sage ich. „Soweit ich das verstehe, hilft Ihre Forschung dabei, dass wir in Zukunft Autos 3-D-drucken können?” Afsheen hebt ihre Augenbrauen. „Äh, ungefähr. Aber ...“ Ich unterbreche sie wieder: „Ungefähr passt, es sei denn, es stimmt wirklich nicht. Dann müssen Sie den Satz anpassen.“ „Es ist sehr vereinfacht“, murmelt sie. 

„Einfach ist gut,” entgegne ich. „Anstatt ins Detail zu gehen, fügen Sie besser noch einen Satz dazu, warum es sinnvoll ist, Autos zu drucken. Produktionsgeschwindigkeit? Kosten? So was in der Art.“ Afsheen bleibt skeptisch. „Meine Forschung dreht sich nicht um das ganze Auto, sondern nur um die Karosserie.“ „Sie können jederzeit weiter in Ihre Forschungs hineinzoomen, wenn sich jemand dafür interessiert. Aber kein Personaler möchte, dass Sie wirklich ins Detail gehen.” 

Für Wissenschaftler:innen ist es oft schwierig, etwas einfacher zu machen, als es ist. Sie arbeiten täglich an einem winzigen Puzzleteil in einem größeren Ganzen. Obendrein sind ihre Ergebnisse – aufgrund von Ausnahmen und Rahmenbedingungen – oft sehr nuanciert und ihre Geschichten darüber daher kompliziert. Wissenschaftler:innen haben jahrelang gelernt, anderen noch die letzte Dezimalstelle zu zeigen, um als kompetent zu gelten. Und bei der Kommunikation mit anderen Wissenschaftler:innen ist es wichtig, die Details sorgfältig darzustellen. 

Aber wenn Sie mit Laien sprechen, ist es Ihre Aufgabe, schnell zum Punkt zu kommen und eine Hauptaussage so zu formulieren, dass sie für das Publikum verständlich und relevant ist. Natürlich birgt das Risiken. Manche Zuhörer:innen lieben es zu meckern, wenn etwas nicht hundertprozentig stimmt. Aber Gemurre lässt sich vermeiden, wenn Sie zum Beispiel beifügen: „im Großen und Ganzen bedeutet das …“ oder „vereinfacht gesagt, ich arbeite an …“ So beruhigen Sie den kritischen Zuhörer und haben gleichzeitig bessere Chancen auf ein gutes Gespräch.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 11/22 Der Mittelpunkt der Präsentation

Ich arbeite mit einer Gruppe Doktorand:innen daran, ihre Präsentationen für einen Kongress vorzubereiten. „Für wen genau haben Sie diesen Vortrag gehalten?”, frage ich Mathieu, der gerade seine Präsentation beendet hat. Er ballerte in 14 Minuten 38 PowerPoint-Folien durch. „Für Sie“, antwortet er. „Es ist leider nicht bei mir angekommen”, sage ich. Die Präsentation erinnerte mich an jemanden, der mir kürzlich erzählt hat, er spiele Hörbücher mit 1,5-facher Geschwindigkeit ab, um mehr Bücher in kürzerer Zeit zu hören. Mein Kommentar dazu war: Es gehe nicht um die Menge an Büchern, die man liest, sondern was man daraus mitnimmt. Mathieu war viel zu schnell und viel zu ausführlich. „Außerdem wird das Publikum sich ärgern, dass Sie Ihre Redezeit überschritten haben”, schließe ich. „Was soll ich tun?“, fragt er.

Meine Antwort: „Erhöhen Sie das Signal-zu-Rauschverhältnis.” Bei einer knappen Redezeit von zehn Minuten können Sie genau einen Hauptpunkt herausarbeiten, nicht mehr. Identifizieren Sie also, was Ihr Publikum mitnehmen soll. Sie untermauern diese Botschaft dann mit drei oder vier Folien. Nehmen Sie nur Aspekte, die diese Hauptbotschaft unterstützen. Details können Sie gegebenenfalls in der Fragerunde erörtern – falls sich jemand dafür interessiert. 

„Es ist aber wichtig, dass ich alle Daten zeige. Vielleicht kann ich schnell ein paar Folien zeigen, ohne sie zu erklären“, schlägt Mathieu vor. „Wie ein Bilderbuch ohne Text, dafür mit langweiligen Bildern?“ frage ich. Mathieu seufzt. „Und wenn ich die einleitende Geschichte kürze?“ 

Wenn das Publikum die Frage und die Relevanz Ihrer Forschung nicht versteht, wird es innerhalb der ersten Minute aussteigen. Es muss Ihnen nicht zuhören. Sie müssen Ihre Zuhörerschaft davon überzeugen. Das tun Sie, indem Sie einen eingängigen Anfang für Ihre Geschichte finden: Was trägt Ihre Forschung zu dieser Welt bei? „Wenn Sie diese Einleitung wegnehmen, dann können Sie Ihren Vortrag genauso gut vor Ihrem Badezimmerspiegel halten.“ 

Mathieu will mit seiner Präsentation beeindrucken, ignoriert aber die Wünsche des Publikums. Aber genau das Publikum steht im Mittelpunkt dieser zehn Minuten. „Denken Sie an dieses und nicht an sich selbst”, schließe ich. „Dann haben beide Seiten mehr davon.“

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 10/22 Die Reihenfolge im Lebenslauf

„Schreibe ich meine Bewerbungsunterlagen eigentlich chronologisch oder gegenchronologisch?“, erkundigt sich Valeria in einem Bewerbungsworkshop. „So wenig wie möglich“, entgegne ich, was dem Wunsch nach einer einfachen Antwort sichtlich nicht genügt. Ich schiebe nach: „Für die Teile, wo es denn sein muss, also Berufserfahrung und Ausbildung: Gegenchronologisch, also von den aktuellen Teilen zu den älteren.“ Es erscheint logisch, die gesamten Bewerbungsunterlagen gegenchronologisch aufzubauen. Dieses Verlangen nach zeitlicher Ordnung hat allerdings Nachteile. 

Im Anschreiben erzählen Bewerbende oftmals die Highlights des Lebenslaufs in Aufsatzform nach, eine einschläfernde Fleißübung für die Leserschaft. Dabei ist das Anschreiben der Text, der am freiesten formuliert werden darf. Deshalb können Sie sich darauf konzentrieren, was Sie mit dem Arbeitgeber verbindet: „Von Frau Dr. Sanchez habe ich bereits vor drei Jahren auf der Analytica erfahren, dass Ihr Unternehmen …“ Dieses Satzfragment zeigt langfristiges, nachweisliches Interesse an einem Arbeitgeber, eine persönliche Verbindung sowie gute Fähigkeiten in der Dokumentation. Auch Schwächen lassen sich dort ansprechen: „Obwohl ich die geforderten fließenden Deutschkenntnisse noch nicht besitze, habe ich bereits zwei Fremdsprachen autodidaktisch auf B2-Niveau erlernt: …“ Damit verhindern Sie, wegen eines fehlenden Kriteriums vorschnell ausgesiebt zu werden. 

Auch im Lebenslauf können Sie sich teilweise von der Chronologie lösen. Nehmen wir an, dass Sie vor fünf Jahren eine Zusatzqualifikation erworben haben, die für den Arbeitgeber wie die Faust aufs Auge passt. Das geht in chronologischen Teilen leicht unter. Einem Glanzpunkt können Sie zu Beginn des Lebenslaufs in einer Aufzählung mit drei bis fünf Spiegelstrichen zu Sichtbarkeit verhelfen. 

Im Hauptteil des Lebenslaufs können Sie Ihren Lesern und sich einen weiteren Gefallen tun: Fassen Sie Ihre Fähigkeiten in einem Abschnitt zusammen. Dadurch werden die Beschreibungen im chronologischen Teil knapper, Redundanzen entfallen. Langweilige Listen wie Posterpräsentationen oder besuchte Workshops können Sie zu Beschreibungen von Fähigkeiten kondensieren. Vorteil: Die Fähigkeiten können Sie nach Belieben anordnen und dadurch Aspekte hervorheben, die für die Bewerbungsempfänger am interessantesten sind. Diese werden es Ihnen danken – hoffentlich mit einer Einladung.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 09/22 Wo Vielfalt zu erwarten ist

Wo ist die Diversität Ihrer Kolleg:innen höher: an der Hochschule oder in einem typischen Industriebetrieb?“ frage ich in die Runde eines Karriereworkshops. Ich erkenne an den Gesichtern, dass alle die Frage zu einfach finden. Nach einer Pause erbarmt sich Xavier: „In meinem Projekt arbeite ich mit Igor, Pranoti und Ah Lam zusammen. Meine Freundin arbeitet in der Industrie mit Max, Klara und Christian im Team. Das sind die Rohdaten; wo es diverser ist, weiß ich auch nicht.“ Wenn wir es bei der geografischen Abstammung belassen, hat Xavier recht: Bis auf Start-ups aus der Uni und einigen wenigen Großkonzernen, deren Teams tatsächlich so international sind, wie das Marketing uns verspricht, bietet die Uni ein internationaleres Umfeld. Ich hake nach: „Diversität ist aber ein breiterer Begriff. Wie sieht es denn mit den anderen Aspekten aus?“ Es gibt ja noch Interdisziplinarität, Bildungsgrad oder Alter. 

Wenn Sie Ihr Forschungsprojekt an der Uni als interdisziplinär bezeichnen, dann arbeiten Sie als Chemikerin beispielsweise mit einem Biologen oder einer Physikerin zusammen. In der Industrie wird das schlagartig breiter. Stellen Sie sich die intellektuelle Herausforderung vor, wenn Sie Ihre Ergebnisse mit einer Chefin diskutieren, die einen Abschluss in Jura oder Betriebswirtschaftslehre hat. 

Vom Bildungsgrad her ist die Uni das vermutlich am wenigsten diverse Arbeitsumfeld. Die meisten Leute, mit denen Sie während Promotion und Postdoc zusammenarbeiten, haben eine Promotion oder werden diese in absehbarer Zeit haben. In der Industrie haben Sie Kontakte zu Menschen mit unterschiedlichen Bildungsgraden. Auch das fordert Ihre Fähigkeiten zu kommunizieren. 

Schließlich das Alter: Abgesehen von Ihrem Betreuer oder Ihrer Betreuerin haben Sie an der Uni vorwiegend mit Leuten um die Dreißig zu tun. Auch hier bildet die Industrie ein breiteres Spektrum ab. Der Klassiker: die Uni-Absolventin, die Mitarbeitende führen muss, die 30 Jahre Berufserfahrung haben.
Zum Schluss komme ich auf Xaviers Aussage zurück: „Es klang so, als sähen Sie das internationale Umfeld als Pluspunkt der Uni.“ Falls Sie in die Industrie wechseln, das internationale Umfeld der Uni aber nicht verlieren möchten, dann sollten Sie eine Stelle in solchen Betrieben suchen, die international arbeiten. Wenn es Ihnen allgemein um ein diverses Arbeitsumfeld mit intellektuellen Herausforderungen geht, dann könnte in der Industrie eine Schatzkiste auf Sie warten.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 07-08/22 Addieren, nicht subtrahieren

„Wow Benjamin, da hast Du uns aber harte Arbeit serviert“, stöhnt Sven, als er die Bewerbungsunterlagen seines Kollegen überfliegt. Benjamin hat sich zwar an die Regel gehalten, dass ein Lebenslauf für den nichtakademischen Bereich maximal zwei Seiten umfasst, doch benötigte er einige Kniffe im Layout, um das zu erreichen: Schriftgröße 10, kein Zeilenabstand und schmale Seitenränder. „Wie sind Sie denn beim Schreiben vorgegangen?“, erkundige ich mich. „Ich habe vor Jahren einen Lebenslauf angelegt, den ich immer wieder erweitere, sobald sich etwas in meinem Berufsleben ändert. Dann kürze ich auf die gewünschte Länge.“ An Benjamins gequälter Miene sehen wir, dass das kein angenehmer Prozess ist. 

Eileen springt ihm zur Seite: „Ich finde das auch schwer. Ich hatte nicht mehr genügend Platz, um mein Forschungspraktikum in der Gruppe von Professor Gilg zu erwähnen.“ „Ist das schlimm?“, erkundige ich mich. „Aber sicher. Wer zu dem geht, kann sich durchkämpfen“, erklärt sie fast trotzig. 

Warum fällt es uns so schwer, Details wegzulassen? Denken wir wirklich, dass die ganze Welt weiß, wie es in Professor Gilgs Labor zugeht? Wohl kaum. Die Verhaltens- und Denkmuster aus dem wissenschaftlichen Studium und der Forschungsarbeit sitzen tief. Das ist gut so, um Forschung zu betreiben. Eine Bewerbung ist aber etwas anderes als eine Publikation. Ihre Leserschaft hat nicht unbegrenzt Zeit und Aufnahmevermögen für Ihre Bewerbung. Sie führen keinen Beweis. Denken Sie also nicht „Wie kann ich so viele Punkte unterbringen wie möglich?“, sondern „Wie kann ich das Signal-zuRausch-Verhältnis optimieren?“ Die zwei oder maximal drei Hauptaspekte, die Sie rüberbringen können, sind Ihr Signal. Mehr nimmt Ihre Zielgruppe kaum auf. Alles was dieses Signal unterstützt, etwa ein Erlebnis, das dieses positive Attribut greifbarer macht, darf mit in Ihren Lebenslauf. Alles andere ist in der Wahrnehmung Ihrer Leserschaft Rauschen und kann getrost weggelassen werden. 

„Noch ein kleiner psychologischer Trick, um diesen Prozess für Sie schmackhafter zu machen“, schließe ich diesen Teil des Workshops. Wegstreichen lieb gewonnener Teile unseres Lebens (-laufs) tut weh. Drehen Sie den Prozess um: Fangen Sie bei einem leeren Dokument an und addieren Sie die wichtigsten Punkte. Das fühlt sich besser an als subtrahieren.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 06/22 Bitte keine Wissenschaftler

Wir sind zu Gesprächen zwischen dem Landwirtschaftsministerium und Lobbyorganisationen eingeladen. Denn vor einem Jahr haben wir eine NGO mit dem Ziel gegründet, die Verwendung von Torf in den Niederlanden zu reduzieren. Nun haben wir einen parlamentarischen Antrag mitverfasst, ein Abgeordneter hat ihn eingereicht, und er wurde angenommen. Bei dieser Thematik spielt vieles hinein, in das wir uns einlesen und beraten lassen: Bodenkunde, Klimabilanzierung, Gartenbau, um nur einige zu nennen. Und nun sagt Gerrit, der uns bei allen Fragen rund um politische Prozesse berät, mit Nachdruck: „Ihr müsst dafür sorgen, dass bei den Gesprächen keine Wissenschaftler mit am Tisch sitzen.“ Das sitzt. Was meint er damit? 

Er schiebt nach: „Wissenschaftliche und wirtschaftliche Fakten sind die Basis für solche Gespräche. Doch wenn Wissenschaftler direkt mit am Tisch sitzen, dann wird das nichts. Die kommen nicht auf den Punkt.“ 

Wissenschaftler:innen sind nur in indirekten Rollen gern gesehen und streben nur selten von sich aus nach einer aktiveren Rolle. Das Ergebnis: Obwohl es in den Niederlanden haufenweise Wissenschaftler:innen gibt, die sich mit Mooren und Torfersatz beschäftigen, wurde das Thema jahrelang nicht mehr in der Öffentlichkeit kommuniziert. „Ich bin Wissenschaftlerin und keine Aktivistin“ oder „Bei dieser Zeitung kann ich nicht ausreichend Zitate einfügen“ sind typische Begründungen.

Wir sehen solche Muster immer wieder bei der Mehrheit der Wissenschaftler:innen. Probieren Sie es selbst – besuchen Sie eine Konferenz und fragen an einem Poster: „Können Sie mir den Inhalt näherbringen?“ In den meisten Fällen werden Sie mit einem Monolog übergossen, ohne dass Ihr Gesprächspartner nach Ihrem Hintergrund und Ihrem Interesse fragt. Geprägt durch Jahre intellektuell anspruchsvoller Arbeit in einem kompetitiven Umfeld etabliert sich für viele von uns eine Kultur des Schlau-sein-Wollens: Wir begreifen nicht, dass es Menschen gibt, für die das alles nicht selbstverständlich ist.

Verständliche Kommunikation über Ihre Arbeit ist keine Luxusaufgabe, sondern essenziell. Je höher Sie auf der Karriereleiter kommen, desto mehr müssen Sie mit Menschen sprechen, die Ihre Arbeit nicht verstehen. Wenn Sie Einfluss auf die Welt außerhalb Ihrer direkten Arbeit nehmen möchten, dann sollten Sie so kommunizieren, dass man Sie gerne am Tisch haben möchte.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 05/22 Ihre Rolle im Team

Ein Karriereseminar beginne ich mit den Parallelen zwischen Teamarbeit und Teamsport. „Denken Sie bitte ein paar Jahre in die Zukunft. Sie arbeiten auf einer Position und bei einem Arbeitgeber Ihrer Wahl. Verwenden Sie bitte die Funktionen in einem Sportverein als Analogie: Welche Position nehmen Sie ein?“ „Mittelfeldspielerin“, macht Ingrid den Anfang. „Ich bringe gerne Leute zusammen und suche dann nach den Verbindungen zwischen Arbeitsbereichen.“ Oleg nennt Verteidiger, weil „ich gerne eine Situation analysiere, um eine Strategie zu entwickeln.“ Anke kommt auf Mittelstürmerin, denn sie „würde gerne mit den Kund:innen arbeiten“ und vergleicht den Torschuss mit einem Verkaufserfolg.

„Interessant, vielen Dank“, schließe ich, „ich habe ja Sportverein, nicht Sportmannschaft gesagt. Möchte niemand Trainer oder gar Präsidentin des Vereins werden?“ „Ich denke, man wird im Berufsleben einfach irgendwann Führungskraft“, meint Manfred. Ich sehe an den Blicken der anderen, dass sie seine Aussage nicht ganz teilen. „In der Tat wächst Führungsverantwortung oft schrittweise“, sage ich. Allerdings ist es eine bewusste Wahl, ob man sich in Richtung Führungskraft oder Experte, etwa in der Forschung, entwickelt.

Egal ob als Teammitarbeiter:in oder als Leiter:in: Sie sollten sich darüber im Klaren sein, welche Rolle Sie gerade innehaben und was Sie möchten. Wenn Wunsch und Wirklichkeit zu weit auseinanderklaffen, wird die Zusammenarbeit schwierig. Wir alle kennen die Kronprinzen, die ohne Führungsposition versuchen, die Zügel an sich zu reißen. Ich frage in die Runde: „Gibt es auch das Gegenstück zum Kronprinzen?“ „Also eine Führungskraft, die keine sein möchte?“, erkundigt sich Ingrid. Ich nicke. „Das Gefühl habe ich manchmal bei meinem Doktorvater – ein Mikromanager, der am liebsten jede Reaktion noch selbst ansetzen würde.“ Sie schildert, wie demotivierend das ist und wie sehr er dadurch seine eigentlichen Aufgaben vernachlässigt. „Es fühlt sich an, als würde er uns nicht vertrauen.“

Reflektieren Sie Ihre eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Welche Rolle möchten Sie gerne einnehmen, wo sehen Sie Ihre Stärken am besten eingesetzt? Wenn Sie sich dann nicht sicher sind, ob eine bestimmte Menge an Führungsverantwortung zu Ihnen passt, ist das kein Problem. Außer an der Hochschule ist es möglich, zwischen Management- und Expertenrolle zu wechseln.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 04/22 Wir reden über dasselbe

In einem Karriereworkshop sehen wir uns Stellenausschreibungen aus der Industrie an. „Diese Anzeige ist wirklich nicht für Berufseinsteigerinnen geschrieben“, sagt Sam und teilt ihren Bildschirm. Sie deutet auf eine Zeile, von der sie sich besonders vor den Kopf gestoßen fühlt: Erfahrungen im Matrix-Projektmanagement sind eine Voraussetzung. „Wie hätte ich denn solche typischen Industrie-Erfahrungen während meiner Unizeit sammeln können?“ Ich möchte an dieser Stelle die Begriffe genauer betrachten. Vielleicht ist es der Industriejargon, der die Verunsicherung hervorruft. 

„Wer von Ihnen könnte ein Organigramm des eigenen Departments zeichnen?“, frage ich in die Runde. Teils entsetzte, teils amüsierte Blicke. An einem typischen Uni-Department sind nur wenige der Verantwortlichkeiten in einer hierarchischen Struktur ersichtlich. Der Rest ergibt sich aus den Interaktionen zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen und Individuen. Und das ist die Definition der Matrixstruktur: Projekte werden von zeitlich begrenzten Teams aus verschiedenen Zweigen der Struktur bearbeitet. „Sie alle haben also bereits Erfahrung darin, in einer Matrix zu arbeiten, Sie nennen es nur anders.“

Ich zeige eine Grafik von Nick Reddiford, www.researching.io/blog/researching-skills. Basis dafür sind tausende Fragebögen und Interviews mit Promovierenden sowie Wissenschaftler:innen aus der Industrie. „Auf der linken Seite sehen Sie die Top-10-Fähigkeiten, mit denen sich akademische Wissenschaftler:innen beschreiben. Rechts sind die Fähigkeiten, die sich die Industrie wünscht. Projektmanagement ist rechts an Position zwei.“ Ich erweitere die Tabelle auf der linken, akademischen Seite. Projektmanagement findet sich auch hier, allerdings erst auf Rang 35.

Wer eine naturwissenschaftliche Masterarbeit oder eine Promotion anfertigt, bearbeitet ein komplexes Projekt. Dazu gehört Projektmanagement, ob es nun Ihrem Bauchgefühl oder einer professionellen Infrastruktur entspringt. Frische Absolvent:innen beschreiben ihre Fähigkeiten ungern mit Begriffen wie Projektmanagement, da sie diese der Welt der Industrie zuordnen. Hilfreicher ist es, wenn Sie auf die Substanz dessen schauen, was Sie in den letzten Jahren getan haben; beschreiben Sie dies dann mit Begriffen, die der Gegenseite geläufig sind. Das ist keine Aufschneiderei, sondern Übersetzungsarbeit.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 03/22 In der Grauzone navigieren

In einem Workshop beschäftigen wir uns mit Vorstellungsgesprächen. Isolde meldet sich zu Wort: „Wie reagiere ich auf Fragen nach Kindern?“ „Oder bei Fragen nach der Gesundheit?“, fragt Pavel, der zuvor freimütig von seiner Diabeteserkrankung erzählt hatte. 

Eine Faustregel: Fragen sind zulässig, wenn der Arbeitgeber dadurch einschätzen kann, ob Sie die Aufgaben der Arbeitsstelle in der Regel erfüllen können. In diesem Sinne darf eine künftige Busfahrerin zu ihrem Augenlicht befragt werden. Wissenschaftler:innen arbeiten häufig in Laboren oder Büros, weshalb die meisten gesundheitlichen Einschränkungen kein Ausschlusskriterium sind. Wie steht es mit Leuten, die ihre Arbeit zwar ausfüllen können, jedoch ein erhöhtes Ausfallrisiko haben – etwa durch eine chronische Krankheit wie der Diabetiker Pavel oder die Eltern kleiner Kinder? Das gilt als „Allgemeines Lebensrisiko“, ist also ein normaler Teil des Lebens. Diese Bewerbenden können ihre Stelle in der Regel ausfüllen, Fragen danach sind unzulässig. „Was mache ich, wenn solche Fragen dennoch gestellt werden?“, erkundigt sich Elisa. 

Im Vorstellungsgespräch ist Ihr Privatleben vor neugierigen Fragen geschützt. Meist werden diese Fragen allerdings nicht als solche gestellt. Es werden eher vieldeutige Aussagen in den Raum gestellt: „Sie sind sich hoffentlich bewusst, dass so eine anspruchsvolle Stelle kaum mit umfangreichen privaten Verpflichtungen zu vereinbaren ist.“ In diesem Fall ist die einfachste Antwort, die Aussage zu bestätigen, ohne etwas über sich selbst preiszugeben: „Ja, ich bin mir dessen bewusst.“ Wenn solche Fragen als Fragen formuliert werden, begeht der Arbeitgeber einen Rechtsbruch. Sie dürfen schweigen, lügen oder vor Gericht klagen. Leider haben alle drei Optionen Schwächen. In ein Schweigen würden Arbeitgeber hineininterpretieren, was sie möchten. Lügen ist ebenfalls schwierig: Bekommen Sie das in einer stressigen Situation hin, und wäre eine positive Zusammenarbeit danach überhaupt möglich? Und wer möchte gegen seinen zukünftigen Arbeitgeber vor Gericht ziehen? 

Es gibt zumindest eine halbwegs praktikable Lösung. Sie können einen Warnschuss abgeben und das Gespräch zurück aufs Wesentliche lenken: „Wenn Sie mir erklären können, was meine Familienpläne mit meiner Arbeit auf dieser Stelle zu tun haben, beantworte ich die Frage gerne.“ Sie lassen dadurch erkennen, dass Sie Bescheid wissen, stellen aber nicht gleich Drohungen in den Raum.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 02/22 Was brauchen Sie wirklich für eine Stelle?

„Ich möchte zwei Fragen mit Ihnen diskutieren“, gebe ich in einem Karriereseminar in die Runde. „Was ist nötig, um eine gute Qualitätsmanagerin zu werden? Und was ist nötig, um eine exzellente Qualitätsmanagerin zu werden?“ Pauls Gesicht verzieht sich, bevor er antwortet: „Das ist offensichtlich eine Fangfrage, aber mir fällt nichts Besseres ein: Erstens, Liebe zur Erbsenzählerei. Zweitens, große Liebe zur Erbsenzählerei.“ „Erwischt“, gebe ich gespielt gekränkt zu. „Das war eine Fangfrage. Beim ersten Teil stimme ich zu.“ Um ein halbwegs brauchbarer Qualitätsmanager zu werden, würde es reichen, mit Freude exakt und detailversessen zu arbeiten. Was aber macht eine exzellente Qualitätsmanagerin aus? Wo trennt sich der Weizen von der Spreu? 

Das Alltagsleben von Qualitätsmanagern sieht etwas anders aus als viele meinen. Audits sind der Kern ihrer Arbeit. In stundenlangen Meetings untersuchen sie zusammen mit den Verantwortlichen aus den jeweiligen Abteilungen, ob es in der Dokumentations- und Arbeitsinfrastruktur Schwächen gibt und wie diese zu beseitigen sind. Solche Audits sind klassische Beispiele für „Wichtig, nicht dringend“: Die Verantwortlichen sitzen meist wie auf glühenden Kohlen, um sich wieder dem Tagesgeschäft widmen zu können.

„Für so ein Audit braucht man ein dickes Fell“, wirft Geraldine ein. Damit bringt sie die Diskussion auf den rechten Weg. Die Kernfähigkeiten, um sich im Qualitätsmanagement von gut zu exzellent zu entwickeln, sind: Verhandlungsgeschick, Freundlichkeit, verständnisvolles und gleichzeitig nachdrückliches Auftreten, die Fähigkeit, mit den Spezialist:innen pragmatische und dabei regelkonforme Lösungen entwickeln. Dafür müssen sich Qualitätsmanager:innen in verschiedene Arbeitsbereiche eindenken können. Die Anforderungen, um in diesem Berufsfeld lediglich zu funktionieren, unterscheiden sich von denen, um darin richtig gut zu werden.

So eine Analyse der Erfolgskriterien sollten Sie mit einer Reihe an Berufsbildern machen, bevor Sie sich entscheiden, in welche Richtung Sie sich entwickeln möchten. Sie können dadurch deutlich besser vorhersehen, ob Sie in dieses Umfeld passen könnten. Und wenn Sie sich bewerben, werden Sie sich nicht nur mit Allgemeinplätzen oder kopierten Formulierungen aus der Stellenanzeige darstellen. Sie können dann das Bild einer erfolgreichen Mitarbeiterin zeichnen, die weiß, worauf sie sich einlässt.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 01/22 Das Internet vergisst nichts

In einem Karriere-Workshop möchte ich beleuchten, welche Spuren wir im Internet hinterlassen. Ich teile einen Artikel über einen Bewerber, dessen Bewerbungsphase von seinem schillernden Facebook-Profil überschattet wurde: Drogen, Corona-Parties und schnell wechselnde nichtplatonische Bekanntschaften. Sabine holt nach einem Lachanfall Luft: „Immer witzig, so etwas zu lesen, aber so dämlich ist doch niemand, oder?“ „Ich kenne genügend Fälle von gebildeten Leuten, die ähnlich naiv gehandelt haben,“ entgegne ich. Ein ehemaliger Kollege beispielsweise hatte sich krank gemeldet, ging auf ein Musikfestival und postete das auf Instagram. Dieser Vertrauensbruch wurde mit fristloser Kündigung quittiert.

Die virtuelle Welt beeinflusst unser reales Leben. „Welche weniger offensichtlichen Fallstricke gibt es selbst für bedachte Internetnutzer:innen?“, frage ich in die Runde. Es dauert ein wenig, doch dann fällt Eduardo eine ehemalige Kollegin ein, die unbedingt in den Wissenschaftsjournalismus wollte. Im zweiten Jahr ihrer Doktorarbeit besuchte sie eine Konferenz, für die sie nur pro forma ein Abstract einreichen musste. Da sie nicht viel Zeit hatte, kopierte sie hektisch ein paar Sätze zusammen. In ihrem ersten Bewerbungsgespräch sah sie zu ihrem Schrecken einen Ausdruck von genau diesem Abstract auf dem Tisch. So ein Abstract kann als Arbeitsprobe für eine ganze Reihe von Berufen dienen.

Veraltete Profile in sozialen Medien oder Datenbanken für Stellensuchende sehen nicht nur schlecht aus, sie können auch dazu führen, dass Sie als inkonsistent wahrgenommen werden. Aussagen im Anschreiben wie: „Ich möchte nichts lieber als meine Ausbildung zur Patentanwältin bei Ihnen beginnen“, passen nicht zu der „Liebe zur Feldforschung“, die dieselbe Bewerberin ein Jahr zuvor geäußert hatte.
Genauso ungünstig kann es sein, wenn Sie im Internet gar nicht zu finden sind – etwa wenn Sie sich auf Stellen in PR- oder Marketing-Abteilungen bewerben. Ihr „hohes intrinsisches Interesse an modernen Kommunikationsformen“ verliert dadurch an Glaubwürdigkeit. 

Moderne Kommunikations- und Selbstvermarktungswege sind weder gut noch schlecht, sie sollten eben mit Verstand beschritten werden.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 12/21 Bin ich eine Verliererin?

Nach einem Workshop sucht eine Teilnehmerin das Gespräch mit mir. „Ich habe das Gefühl, ich bin eine Verliererin“, vertraut sie mir an. Ist das nun übertriebenes Understatement oder das besonders im Hochschulbereich verbreitete Hochstaplersyndrom? Mir jedenfalls erschien sie als die aufgeweckteste Teilnehmerin im ganzen Kurs. „Wie kommen Sie darauf?“, erkundige ich mich. „Nun ja, all meine gleichaltrigen Bekannten haben feste Stellen, bekommen Kredite für einen Hauskauf, während ich in meiner Projektarbeit auf der Stelle trete“, führt sie aus. Sechs Sprachen hat sie sich bereits selbst beigebracht, doch nur Englisch und ihre Muttersprache spricht sie fließend. Sie hat ständig Ideen, doch hat der Tag bekanntlich nur 24 Stunden, weshalb sie unter dem nagenden Gefühl der Überforderung leidet. 

„Sie sind keine Verliererin, Sie sind eine Starterin“, kann ich sie beruhigen. Starter sind impulsive, kreative Menschen, die ständig Ideen aushecken, allerdings wenig Interesse am Abschluss einer Sache haben. „Langweilig, nichts Neues“ scheint ihnen ein innerer Quälgeist zuzurufen. Starter sind keineswegs Verlierer, sie benötigen nur das richtige Umfeld, in das sie sich hineinbewegen – oder das sie sich aufgrund ihrer Persönlichkeit oft genug selbst schaffen. Wichtig für Starter ist das Zusammenspiel mit ihrem Gegenstück, den Finishern. Diese sehen nichts lieber als den Absenden-Knopf, wenn ein Arbeitspaket abgeschlossen ist. Sie sind Leute, die etwas schaffen und strukturiert arbeiten. Starter können nicht ohne Finisher und andersrum. 

Was bedeutet das im Einzelfall? Bewerben Sie sich nur auf Stellen, bei denen Sie sich als Starterin oder Finisher ausleben können. Eine technische Fähigkeit können Sie später noch in der Berufspraxis erlernen, doch Ihre Persönlichkeit können Sie kaum ändern, das müssen Sie bereits bei der Auswahl der Stellen beachten. 
Wählen Sie Bewerbende aus oder stellen ein Team zusammen? Dann achten Sie auf Balance zwischen verschiedenen Typen, die je nach Aufgabe immer ein wenig anders aussehen wird. Bei einem Start-up benötigen Sie andere Qualitäten als für eine Qualitätsmanagementabteilung. 

In manchen Situationen müssen wir tun, was die Aufgabe verlangt, etwa wenn die Starterin ihre Abschlussarbeit fertigstellen muss. Soweit möglich sollten Sie sich in Rollen hineinfinden, die zu Ihrem Persönlichkeitstypen passen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 11/21 Was den ersten vom zweiten Schritt unterscheidet

„Jana hat echt Mumm“, höre ich Bartosz in der Kaffeepause eines Karriereseminars erzählen. Neugierig schließe ich mich dem Gespräch an. „Sie hat vor zwei Jahren in unserer Arbeitsgruppe promoviert und gleich eine Stelle in der Industrie bekommen. Jetzt hat sie hingeschmissen – ohne eine neue Stelle zu haben.“ „Ist die mutig!“ „Oder dumm?“ „Wow“, raunt es durch die Gruppe.

Nach der Pause nutze ich den Fall für einen spontanen Exkurs: „Ist Jana dumm oder mutig?“, frage ich in die Runde. „Raffael aus unserer Gruppe könnte seine Bude mit seinen Angewandten-Papers tapezieren, und dennoch hat er mehr als ein halbes Jahr gebraucht, um eine Stelle zu finden. Ich stimme für dumm“, konstatiert Hedwig.

Die GDCh-Statistik führt uns jedes Jahr vor Augen, dass selbst hochqualifizierte Chemiker:innen beim Berufseinstieg gute Nerven beweisen müssen. Im Juli berichteten die Blauen Blätter, dass im ersten Jahr nach Abschluss ein Fünftel auf Inlands-Postdocs parkt, zehn Prozent gar arbeitslos sind. Wir sehen seit mehr als einem Jahrzehnt hohe Einschreibungszahlen in Chemiestudiengängen, während der Arbeitsmarkt kaum wächst. Der Wettbewerb kann also hart sein.

„Die Arbeitslosenquote unter Chemiker:innen ist unter drei Prozent, die GDCh-Zahlen kommen mir zu hoch vor“, protestiert Esther. 

Es ist ein gängiges Phänomen: Nach einem schwierigen Berufseinstieg wirkt der Wechsel von Stelle zu Stelle meist wie ein Kinderspiel. Auf das Berufsleben gerechnet ist die Arbeitslosigkeit dann gering. Was also ändert sich zwischen erster und zweiter Stellensuche? Ich sehe folgende Faktoren: Ist der Berufseinstieg geschafft, haben wir besseren Zugang zu industriespezifischen Netzwerken und erlernen neue Fähigkeiten. Und wir lernen mehr Karriereoptionen kennen, sodass wir am Arbeitsmarkt leichter eine Nische für uns finden. Ich vermute also, dass Jana ihren Marktwert selbstsicher einschätzt.

Von der Hochschule aus solche Netzwerke zu entwickeln und Nischen im Arbeitsmarkt zu entdecken, ist schwieriger, aber keineswegs unmöglich. Fortbildungen, zum Beispiel über Graduiertenschulen, können dabei helfen. Darüber hinaus können Sie in gezielten Gesprächen etwas über Ihre Optionen erfahren und dabei Kontakte außerhalb der Hochschule knüpfen. 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 10/21 Wer liest Ihre Bewerbung?

In einem Seminar besprechen wir Bewerbungen. „Hier sehen Sie eine Karte Ihrer Stadt. Wo ist wohl der Quadratmeterpreis besonders hoch?“, frage ich in die Runde. „Wo viel Schampus getrunken wird und wenig los ist“, ruft Ralf, der die Stadt wie seine Westentasche kennt. Genau wie in einer Stadt gibt es auch in Ihren Bewerbungsunterlagen besonders teure Gegenden, nämlich die Stellen, die naturgemäß die Blicke der Leserschaft auf sich ziehen. Dort sollten daher die relevantesten Informationen stehen.

„Wer wird Ihre Bewerbung lesen?“, frage ich weiter. „Meine künftige Vorgesetzte, also vermutlich jemand mit wissenschaftlichem Hintergrund, und jemand aus der Personalabteilung“, meint Sofia. „Und manchmal filtert eine Art Algorithmus die Unterlagen nach Schlüsselwörtern“, ergänzt Burcu. Sie haben also mit bis zu drei Lesergruppen zu tun. Bei kleinen Firmen wird lediglich die Chefin die Bewerbung lesen, die vermutlich Wissenschaftlerin oder Ingenieurin ist. Bei größeren Firmen macht das zudem die Personalabteilung und bei den ganz großen noch ein Algorithmus. Die Reihenfolge ist allerdings so: zuerst prüft der Algorithmus, dann die Personalabteilung und schließlich die Fachabteilung. Die Stimme künftiger Vorgesetzter kommt nur dann zum Tragen, wenn die Personalabteilung Ihre Bewerbung überhaupt weiterleitet.

Die Teile Ihrer Bewerbung, auf die die menschliche Leserschaft zuerst schaut, sind besonders wertvoll: Das Bewerbungsfoto zieht Blicke auf sich, danach alles, was weit oben steht oder hervorgehoben ist. Platzieren Sie dort ausschließlich Information, die speziell diesen Arbeitgeber interessieren. Sie haben Spielräume, etwa indem Sie unter das Foto eine kleine Zusammenfassung Ihres Profils in drei Stichpunkten schreiben oder indem Sie bei „Fähigkeiten“ die für diesen Arbeitgeber wichtigsten nach oben rücken. Personaler achten mehr auf Motivation und Persönlichkeit, was Sie für diese Lesergruppe herausarbeiten sollten. Mit Jargon und wissenschaftlichen Details sollten Sie in jedem Fall sparsam umgehen – die versteht keiner Ihrer Leser. Der Algorithmus schließlich erhält seine Stichwörter aus den billigen Teilen Ihrer Bewerbung, etwa indem Sie triviale Kriterien aus der Stellenausschreibung wie „MS Office“ im unteren Teil bei Fähigkeiten listen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 09/21 Fragen Sie jemanden, der sich auskennt

„Vielleicht klingt es wie ein Luxusproblem“, berichtet Dirk in einem Karriereseminar. „Ich habe bereits ein Stellenangebot, bei einer finnischen Firma. Ich müsste also in ein anderes Land ziehen. Wie kann ich wissen, worauf ich mich einlasse?“

Natürlich hat Dirk das Internet nach allen verfügbaren Quellen zur Firma durchsucht und zudem im Vorstellungsgespräch einen Eindruck gewonnen. Doch was ist Fassade, was ist Substanz? Dazu kommen der organisatorische Aufwand und die kulturellen Veränderungen im Ausland. Keine Entscheidung, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. „Wie komme ich an authentische Informationen, noch dazu in kurzer Zeit?“, fragt er.

Ein bewährtes Mittel, das glücklicherweise auch in CoronaZeiten funktioniert, sind Gespräche mit Expertinnen. Nehmen Sie Kontakt auf mit Leuten, die mehr über ein Thema wissen als Sie. In Dirks Fall wären das also alle, die schon einmal in Finnland gelebt und die für dieses Unternehmen gearbeitet haben – auch an anderen Standorten.

Wie stellen Sie das an? Eine unpersönliche Anfrage an info@unternehmen.com hat geringe Erfolgsaussichten. Einen engen persönlichen Kontakt benötigen Sie für so eine Anfrage trotzdem nicht. Im Idealfall fädelt jemand, der Sie kennt, den Kontakt ein. Doch wenn das für Sie nicht möglich ist, stoßen Sie bei Ihrer Recherche hoffentlich auf persönliche E-MailAdressen oder Profile in den sozialen Medien. Dann reicht es oftmals, wenn aus Ihrer Anfrage hervorgeht, dass Sie sich vorbereitet haben. Sie müssen ausdrücken, dass Sie mit genau dieser Person sprechen möchten.

Wechseln wir kurz die Perspektive: Warum sollte jemand einer fremden Person seine wertvolle Zeit widmen?

Menschen reden gerne über sich selbst. Durch den Rahmen „Expertinneninterview“ unterstreichen Sie den respektvollen Ansatz. Sie tun Ihnen einen einfachen, jedoch wertvollen Gefallen und fühlen sich dabei effektiv und nützlich. Und der Gefallen kommt ja vielleicht irgendwann zurück.

Expertinneninterviews sind Netzwerk-Instrumente, die mit Introvertierten auf beiden Seiten kompatibel sind. Voraussetzung ist, dass sie gut vorbereitete, inhaltsgetriebene Einzelinteraktionen sind.

Nach dem Gespräch fragen Sie nach weiteren Kontakten, mit denen Sie sprechen können. Dadurch werden Sie sich durch einzelne Puzzlestücke Antworten auf Ihre Fragen zusammensetzen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 07-08/21 Aufschreiben statt vermuten

In einem Workshop diskutieren wir Bewerbungsunterlagen. „Meine Publikationsliste wird mir bei den Bewerbungen das Genick brechen“, murmelt Adrian. Er hat sich in seiner gesamten Promotion auf ein einziges Projekt konzentriert. Als seine Chefin die Ergebnisse zur Publikation einreichte, stand er bei den Autoren nur an Stelle drei. „Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich bei der Publikation der Erstautor sein werde.“ „Glücklicherweise wollen Sie sich sowieso in Richtung Industrie orientieren“, werfe ich ein, „da zählt die Publikationsliste viel weniger als an der Uni“, und ergänze: „Lassen Sie uns dennoch einen Blick darauf werfen, wie sich solche Situationen vermeiden lassen.“

Hätte Adrian vor Projektbeginn eine Vereinbarung mit seiner Chefin getroffen, stünde er heute möglicherweise besser da. Die Industrie ist hier Vorbild: Dort wird vor Beginn eines Projekts ein Projektplan verfasst, der die Verantwortlichkeiten definiert. Es ist zwar unrealistisch, den Apparat eines Industriebetriebs an der Universität nachzustellen. Auch ist akademische Forschung ergebnisoffener, weshalb es schwieriger ist, Vereinbarungen über die Zukunft zu treffen. Könnten wir dennoch Verbindlichkeit erreichen, ohne die Kreativität mit allzu viel Papierkram abzuwürgen?

Schreiben Sie auf, worauf Sie sich mit dem Betreuer informell geeinigt haben, verwandeln Sie Annahmen in konkrete Aussagen. Das muss kein rechtssicherer Vertrag sein. Eine E-Mail, mit der Sie ein Gespräch protokollieren, kann Wunder wirken: Damit agieren Sie als Kollegin, die anderen einen Gefallen tut. Sie können die E-Mail etwa so beenden: „Lass mich wissen, wenn ich etwas vergessen oder falsch verstanden habe.“ Mit dieser minimalen Dokumentation erzeugen Sie Klarheit und können im Streitfall mit Fakten statt mit Annahmen argumentieren. Bei fortlaufenden, komplexen Projekten können Sie ein gemeinsames Dokument teilen, in dem dann etwa die Liste der Autor:innen laufend und transparent für alle ans Geschehen angepasst wird. Sie vermeiden durch mehrere kleine Abstimmungen im laufenden Projekt einen großen Streit am Ende.

Anwälte streiten sich, ob eine E-Mail der Schriftform genügt, um vor Gericht zu gelten. Darum geht es im Umgang zwischen Kolleg:innen nicht. Aufzuschreiben, was Sie gehört haben, ist kein Ausdruck des Misstrauens und muss nicht viel Zeit kosten. Sie treten damit professionell auf und vermeiden Konflikte durch sachliche Diskussionen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 06/21 Bittere Lektüre

„In etwa einem Jahr bin ich mit der Promotion fertig und brauche einen Job, bis dahin werde ich mich wohl kaum in Superwoman verwandeln“, stöhnt Vera. Sie hat sich Stellenanzeigen angesehen, und es erging ihr dabei wie Vielen: Stellenanzeigen sind eine unangenehme Lektüre für das Selbstbewusstsein. Sie geben uns das Gefühl, die Stellen seien für viel besser Qualifizierte geschaffen.

„Superwoman wohnt nicht in Deutschland, machen Sie sich also keine Sorgen“, beruhige ich sie. „Horst Meier ist Ihr Konkurrent um die Stelle. Das ist die Messlatte.“ Stellenausschreibungen sind nicht nur für die Bewerbenden geschrieben, sondern sollen den Arbeitgeber auch gegenüber all den zufälligen Leser:innen in ein positives Licht setzen. Daher klingen sie oft mehr nach Superwoman als nach Horst Meier.

„Onzin“, grummelt Wouter, seine verschränkten Arme vor der Brust lassen keinen Zweifel an der Bedeutung des Worts. „Wie sieht es denn bei Stellenausschreibungen in den Niederlanden aus?“, frage ich ihn. Ich bin dankbar, dass er mir die Überleitung in kulturelle Unterschiede so leicht gemacht hat. „Eine Stellenausschreibung beschreibt die Person, die die Stelle mal einnehmen wird. Alles andere ist doch ... Unsinn.“

Stellenausschreibungen klingen nicht überall auf der Welt unrealistisch. Wenn Sie sich im Ausland bewerben, sollten Sie mit Leuten sprechen, die dort arbeiten, um die Anforderungen in Stellenanzeigen zu kalibrieren.

„Aber wenn da ein Muss-Kriterium steht, das ich nicht erfülle, dann bin ich raus, oder?“, erkundigt sich Vera. Die Anforderungen an die Bewerbenden sind oftmals in Kann- und Muss-Kriterien eingeteilt oder einfach in der Reihenfolge fallender Bedeutung geordnet. Die Abstufung zwischen Kann und Muss ist dann fließend. Wenn Sie zwischen 60 und 70 Prozent der Kriterien erfüllen, werden Ihre Bewerbungen langsam realistisch. Fokussieren Sie Ihre Bewerbung auf Ihre Stärken. Auf die fehlenden Punkte müssen Sie nicht zwingend eingehen.

Bei den Muss-Kriterien ist das anders: Sie müssen sie nicht unbedingt erfüllen, aber Sie müssen sie ansprechen. Zeigen Sie, wie Sie sich in die Richtung entwickeln könnten oder wie Sie die Schwäche mit Stärken kompensieren. Tun Sie das an sichtbarer Stelle, etwa im ersten Drittel des Anschreibens, um nicht voreilig aussortiert zu werden. Sie zeigen dadurch Reflexionsvermögen und sind durchaus noch im Rennen, wenn der Rest Ihrer Bewerbung stark ist.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 05/21 Erzählen Sie mal über sich

Vor einigen Jahren stand ich mit schlotternden Knien auf meiner ersten wissenschaftlichen Konferenz. Wie spannend, wie nervenzerreibend ... Ein gepflegter Herr mittleren Alters nähert sich wortlos meinem Poster und studiert es konzentriert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn ansprechen soll. So ist es mein Gast, der die Initiative ergreift: „Could you quickly walk me through your poster, please?“ Meine Erklärungen sind verworren. Er verliert bereits nach wenigen Sätzen das Interesse.

Nach der Konferenz recherchiere ich: ein renommierter Professor aus Oxford, dessen Arbeit wir mit unserer Methodik gut unterstützten könnten. Ich sah mich schon als Koautor auf einer seiner Publikationen, doch leider reagierte er nicht auf meine Emails. Welch eine vertane Chance.

Wir müssen uns und unsere Projekte ständig vorstellen. Zum Thema „pitchen“, wie kurze Vorstellungsformate im Englischen gerne genannt werden, finden wir viele Anleitungen zu geschliffenen Monologen. Leider sind diese nicht authentisch und neigen dazu, Selbstmarketings überzubetonen. Muss das so sein?

In einer Klassifizierung wäre meine Posterpräsentation Stufe 0: keine Vorbereitung, Gestammel. Der geschliffenen Monolog wäre dann Stufe 1: Vorbereitet, aber zu glatt. Stufe 2 ist glücklicherweise recht einfach zu erreichen: Wir müssen uns dafür interessieren, wen wir vor uns haben, und unsere Erklärungen anpassen. Das ist durch die Rückfrage nach dem fachlichen Hintergrund des Fragestellers zu erreichen – idealerweise vertieft durch Rückfragen wie: „Ist es das, was Sie interessiert?“

Es gibt eine dritte Stufe, wie ich neulich in einem meiner Seminare erlebte. Auf meine Aufforderung, sich gegenseitig ihre Projekte vorzustellen, verfielen zwei Teilnehmer in scheinbar belangloses Geplauder. Nach ein paar Minuten stellte ich sie auf die Probe und fragte, was sie voneinander erfahren hatten. „Sven hat gerade seinen zweiten Postdoc begonnen, den er als Sprungbrett für eine Ausgründung verwenden will. Er hat ein Verfahren entwickelt, das Pilzbefall auf Oberflächen ohne zusätzliche Chemikalien verhindert. Das funktioniert so...“ Ich war beeindruckt, wie viel Information die beiden in der kurzen Zeit ausgetauscht hatten. Das war Stufe 3: eine entspannter und gleichzeitig zielgerichteter Dialog.

Selbstvorstellungen in Monologform sind nicht ideal, aber auch nicht nutzlos. Sehen Sie diese als Vorübungen zu den höheren Stufen an.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 04/21 Chatten funktioniert immer

„Seit der Pandemie haben unsere Doktorandinnen keine Chance mehr, ein akademisches Netzwerk aufzubauen. Haben Sie vielleicht eine Lösung dafür?“ erkundigt sich eine Professorin bei der Abschlussrunde ihres Online-Retreats. Ich entgegne: „Für das Netzwerken ist die Pandemie gar nicht so schlecht!“

Wie diese Professorin bin ich früher oft zu Konferenzen gereist. Nach ellenlangen Vortragsblöcken begannen die wirklich wichtigen Teile: Kaffeepause, Mittagspause, Konferenzdinner. Oft wackelte ich durch überfüllte Räume mit schrecklicher Akustik. Ich wählte eher zufällig einen Stehtisch und hoffte, dort eine interessante Person zu erwischen. Dabei war ich ständig in einem Balanceakt: Hunger stillen, aber nicht mit vollem Mund sprechen, eine Frage stellen, dezent abbeißen und dann interessiert und kauend zuhören. Das Timing klappte selten. Stattdessen geht es so: Frage erhalten, Häppchen unzerkaut schlucken, hektisch antworten. Andersherum kann es schwierig sein, sich auf einen Gesprächspartner zu konzentrieren, der mampfend Monologe hält. Ganz zu schweigen davon, dass weder ich noch andere Menschen am Ende eines langen Konferenztags gut riechen.

Bei virtuellen Netzwerkereignissen treten solche Probleme nicht auf. Zwar ist ein zufälliges Gespräch während einer Kaffeepause nicht einfach online reproduzierbar, doch Sie können viel tun, um virtuell zu netzwerken, wenn Sie Ihre Vorgehensweise anpassen. Der erste Schritt besteht darin, sich mit der Technik vertraut zu machen. Lehnen Sie Einladungen ab, wenn die Konferenzplattform zu selbstgebastelt wirkt und Sie Zeitverschwendung fürchten.

Wie im persönlichen Gespräch sollten Sie auch online Interesse zeigen und Fragen stellen. Dafür gibt es die Chat-Funktion, mit der Sie während eines Vortrags Fragen stellen, Fragen anderer beantworten oder auf deren Kommentaren aufbauen können. Sie können in Konferenzen reinschnuppern, für die der Aufwand einer Anreise zu groß wäre. Dazu kommen die sozialen Medien, die die Kontaktaufnahme unterstützen. Natürlich sind Einzelgespräche für die Vernetzung enorm wichtig. Übernehmen Sie die Initiative und laden Sie Menschen zu einem virtuellen Kaffee oder einem Expertinnengespräch ein: „Ich würde das gerne weiter mit Ihnen besprechen.“ Ihre Gesprächspartnerin wird sich über so eine Einladung freuen, vor allem, wenn sie sich selbst noch nicht in der neuen Netzwerk-Realität zurechtfindet.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 03/21 Geht es nur darum, wen Sie kennen?

Wir haben gerade unser Netzwerkseminar damit begonnen, dass die meisten Jobs in der Wissenschaft und außerhalb über das persönliche Netzwerk vergeben werden. Menschen zu kennen ist der Schlüssel zum Erfolg, sagte ich. „Es stört mich“, grummelt Max, „dass es nur darum geht, wen du kennst.“ „Ich gebe zu, einige Dampfplauderer kommen leider ziemlich weit, wenn sie die richtigen Leute kennen. Aber die meisten nutzen eine Kombination aus Netzwerk und Fachwissen, um an die Spitze zu gelangen,“ tröste ich ihn. 

Ein Beispiel ist Paul Erdös. Er war Mathematiker und die vermutlich schrulligste Netzwerkikone in der Geschichte der Wissenschaft. Erdös arbeitete mit über 500 Forschern zusammen und publizierte dadurch in einem Jahr mehr als die meisten Forschenden in ihrem gesamten Leben. Mathematische Probleme zu lösen war für ihn eine soziale Aktivität. Erdös war großartig in Mathematik und eine Person, die andere Wissenschaftler besser machen wollte. Er ermutigte sie und half ihnen. Paul Erdös war aber auch eigenartig. Das Time Magazine betitelte ihn als „The Oddball‘s Oddball“. Erdös erschien ohne Vorwarnung vor der Haustür anderer Mathematiker – in schmutzigem Regenmantel und durch Amphetamine aufgedreht. Für einen Tag, eine Woche oder einen Monat mussten sich seine mehr oder minder freiwilligen Gastgeber um diesen hilflosen Gast kümmern. Er kochte nicht, und seine Unterhosen wusch er auch nicht selbst. Hatte er mitten in der Nacht plötzlich Lust auf Mathematik, weckte er seine Gastgeber, indem er auf Töpfe und Pfannen schlug. 

„Stellen Sie sich vor, Erdös wäre nicht besonders gut in Mathe gewesen. Er würde – ohne Vorwarnung – an Ihre Tür klopfen und Sie mitten in der Nacht wecken, um Rechnungen durchzuführen. Außerdem würde er Sie bitten, für ihn Essen zu machen und seine Wäsche zu waschen. Würden Sie sein Verhalten ertragen?“ Max fängt an zu lachen. „Wahrscheinlich nicht“, antwortet er. „Genau. Erdös war brillant, er hatte etwas zu bieten. Deshalb tolerierten die Leute diesen wunderlichen Charakter.“ 

Auch Sie müssen etwas zu bieten haben. Erarbeiten Sie sich Wissen und Fähigkeiten, die Sie einzigartig machen. Verlieren Sie dabei nicht den Willen, nicht nur sich, sondern auch Andere weiterzubringen. Das erleichtert das Netzwerken. Denn es geht nicht nur darum, wen Sie kennen. Es geht auch darum, was Sie wissen.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 02/21 Geht es nur ums Geld?

In einem Karriereseminar für Promovierende besprechen wir verschiedene Berufsbilder. „Ich habe gehört, in der Industrie geht es nur ums Geld. Stimmt das wirklich?“, meldet sich Raffael zu Wort. „Ja, natürlich, um was denn sonst?“, entgegne ich mit gespielter Naivität. Alle Organisationen haben ihre eigenen Erfolgskriterien. In der Industrie ist Geld das dominante Erfolgskriterium. „Wie sieht es denn bei Ihrer Doktormutter aus?“, hake ich nach. „Wonach strebt sie?“ „Veröffentlichungen“, antwortet Raffael nach kurzer Denkpause, „was denn sonst?“, wobei er mich bei den letzten drei Worten nachahmt. 

Wenn wir betrachten, ob eine Organisation zu uns passt, müssen wir deren zentrale Erfolgskriterien kennen und entscheiden, ob diese zu uns passen. Allerdings sind voreilige Schlüsse zu vermeiden. Das Erfolgskriterium Geld bedeutet nicht automatisch Turbokapitalismus oder Ausbeutung. Genauso wenig ist das Erfolgskriterium Publikationen mit idealistischem Streben nach Wissen gleichzusetzen. Es kommt immer darauf an, wie genau dieser Erfolg im konkreten Fall erreicht werden soll: mit oder ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt. Publikationen können genauso auf einem Götzenaltar stehen wie Geld. 

„Es gibt doch noch andere Arbeitgeber als Hochschule und Industrie“, wirft Sandra ein. Ich pflichte ihr bei, aber entgegne, dass wir auch hier dieselben Betrachtungen anstellen. Der öffentliche Dienst erhält seine Aufgabe – und damit seine Erfolgskriterien – von den übergeordneten Stellen, etwa den Ministerien. Es geht darum, mit Steuergeldern einen Dienst an der Gemeinschaft zu verrichten. So weit, so idealistisch. Jede Organisation strebt allerdings auch nach Selbsterhalt. Im schlimmsten Fall kämpft dann Bürokratie gegen Modernisierung. 

Letzter Versuch von Raffael: „Gemeinnützige Organisationen. Das Erfolgskriterium ist Gutes tun. Was ist dabei die negative Seite?“ Hier ist es wieder der Klassiker Selbsterhalt. Der zeigt sich dann, wenn NGOs Spendengelder mit rührseligen, aber irrelevanten Themen einwerben. 

Potenzielle Arbeitgeber zu verstehen, ist mehr Arbeit als gedacht. Dadurch ergeben sich aber immer wieder Entdeckungen. Idealistische Ziele lösen sich vielleicht in Nichts auf. Und das Ziel, Geld zu verdienen, muss nicht automatisch zu herzlosem Materialismus führen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 12/20 Kein Kolloquium

Ein Online-Bewerbungstraining. Gemeinsam versetzen wir uns in das unterhaltsame Szenario, dass wir in einem Vorstellungsgespräch für eine Stelle sitzen, die wir absolut nicht haben wollen. „Wie können wir das so richtig versemmeln?“, frage ich in die Runde. 

„Momentan ist ja alles virtuell, da gibt‘s eine ganze Reihe Fallstricke“, prustet Franziska heraus. „Kamera oder Gesicht zu hoch oder zu tief, da sieht man gleich aus wie Hannibal Lecter oder wie ein einziges großes Nasenloch!“ Das gemeinsame Gelächter erzeugt weitere Ideen. „Start negative, end negative, ein Klassiker zum genussvollen Vermiesen aller Gespräche!“, ist die nächste Idee. Einwürfe wie „Schimpfen über die Deutsche Bahn zum Einstieg, dann über das Wetter bei der Verabschiedung“ folgen. „Lange und superspezifische Monologe wie im Promotionsvortrag“, „Weder Augenkontakt noch Lächeln“ sowie das „Fragen nach der Verfügbarkeit von Spargelgerichten in der Kantine“ fliegen durch den virtuellen Raum.

Ich leite den zweiten Teil ein: „Wir sind nach fünf Minuten bereits fast fertig mit dieser Übung. Nun müssen wir all Ihre Ideen nur noch ins Positive drehen und ordnen, schon sind wir fertig mit unseren Regeln und Tipps.“ Nach kurzer Zeit haben wir die wichtigsten Eckpunkte zusammengefasst: 

Zur Begrüßung ein freundlicher Small Talk, nichts stört in dieser Phase mehr als das Fixieren auf Probleme. Sehr oft dürfen Sie zum Einstieg erstmal frei reden, die Aufforderung ist „Erzählen Sie von sich“. Ein knapper Abriss Ihrer Motivation ist hier gefragt, Sie brauchen nicht Ihr gesamtes Leben und Leiden ausbreiten. 

Die meisten Fragen können Sie vorhersehen. Bei Motivationsfragen sollten Sie erklären können, warum Sie in Ihrem Lebenslauf von A nach B gekommen sind. Standardfragen können Sie im Internet nachsehen und für sich selbst oder im Freundeskreis üben. Werden Sie etwa nach Ihren Stärken gefragt, dann ist nicht Selbstlob gefragt; legen Sie einfach die Fakten auf den Tisch und überlassen Sie die Bewertung der Gegenseite. Bei Fragen nach Schwächen geht es hingegen darum, wie Sie damit umgehen und ob Sie sich trauen, diese zuzugeben

Vorstellungsgespräche sind idealerweise freundliche, professionelle und zielgerichtete Kennenlerngespräche. Um sich vorzubereiten, brauchen Sie lediglich ein wenig Zeit und Ruhe.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 11/20 Vorbereitung ist machbar

In einem Karriereseminar kündige ich an, dass wir in das Thema Vorstellungsgespräche einsteigen. „Cool, das unfairste Format seit Einführung der Gladiatorenkämpfe“, platzt Pepijn heraus. „Danke für den Hinweis. Wie kommen Sie zu Ihrem Urteil?“ hake ich nach. „Ganz einfach“, schnaubt er in sein Mikrofon, „die können meinen Lebenslauf nach Belieben durchforsten, meine Referenzen befragen und sich so für das Gespräch rüsten. Ich hingegen finde auf deren Homepage nur Allgemeinplätze.“

Beim Vorstellungsgespräch, meist der ersten persönlichen Begegnung zwischen Arbeitgebern und Bewerbenden, wollen beide Seiten gut vorbereitet sein und damit einen positiven Eindruck hinterlassen. Für Bewerbende gibt es eine Reihe an Möglichkeiten, mehr über die andere Seite zu erfahren, als vordergründig sichtbar ist. 

Eine einfache Suche im Internet ergibt erste Aufschlüsse. Auf der Firmenhomepage stehen natürlich Marketingtexte, dennoch liefert sie Eckpunkte für die weitere Suche, etwa Produkte oder Firmengeschichte. Spannender sind Texte wie wissenschaftliche Veröffentlichungen oder Patente des Arbeitgebers. Und schließlich: Was schreiben die Presse und Analysten über das Unternehmen?

Bei den meisten Unternehmen können Sie wirtschaftliche Daten einsehen. Je nach Gesellschaftsform müssen Firmen unterschiedlich detaillierte Zahlen veröffentlichen, die auch ohne Abschluss in Finanzbuchhaltung Einsichten gewähren. Ist etwa die Firma in einem Steuerparadies veranlagt, dann können Sie „Unsere Werte“ auf der Firmenhomepage gleich neu kalibrieren. Ist die Gewinnspanne gering, könnte es dem Unternehmen an Dynamik fehlen – Sie werden wenig Geld für Ihre Ideen bekommen. Eine hohe Gewinnspanne könnte bedeuten, dass das Quartalsergebnis wichtiger ist als langfristige Planung oder die Gesundheit der Belegschaft.

Die beste Informationsquelle sind Experten. Fragen Sie Menschen, die bereits bei dem Arbeitgeber oder in derselben Branche gearbeitet haben. Wenn Sie solche Kontakte über Ihr Netzwerk finden, sind die Erfolgsaussichten gut. Sie gewinnen Einblicke, die meist weit über die Selbstdarstellung im Internet hinausgehen. 

„Gut, damit ich kann mich vorbereiten, der Gladiator muss nicht nackt in die Arena. Aber viele der Fragen, die dann gestellt werden, sind doch doppelbödig. Da blicke ich nicht durch“, kommentiert Pepijn. „Das schauen wir uns als nächstes an“, schließe ich und läute eine Pause ein.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 10/20 Von der Gehalts- zur Vertragsverhandlung

In einem Seminar über Vorstellungsgespräche eröffnen wir den letzten Teil: Gehaltsverhandlungen. Die Grundlagen haben wir schnell erarbeitet. In der chemischen Industrie sind die Einstiegsgehälter recht einheitlich: Die meisten großen Arbeitgeber zahlen den großzügigen Chemietarif, die Kleineren liegen fast ausnahmslos 15 bis 20 Prozent darunter. Daran können Sie sich orientieren, wenn Sie Ihren Marktwert recherchieren. Sie fragen nach, studieren Gehaltsvergleiche und addieren zu Ihrem Marktwert fünf bis zehn Prozent, das ist dann Ihre Gehaltsvorstellung. Auf zwei Details müssen Sie dabei achten. Das erste: Gehaltsvergleiche enthalten manchmal Boni, manchmal nicht, die der GDCh sind immer all-inclusive. 

Das zweite Detail betrifft das Zielgehalt. Ich frage die Zuhörer, ob sie eine Zahl oder ein Intervall nennen. „Ein Intervall, das habe ich so gelesen“, antwortet Sofie. Ich entgegne: „Wenn Sie 65 000 bis 70 000 sagen, würde ich als Arbeitgeber die höhere Zahl gar nicht wahrnehmen, sondern Sie direkt von 65 000 auf meine Zielmarke runterhandeln.“

Von einem Unternehmen sollten Sie sich niemals mit Luft und Liebe bezahlen lassen; dennoch geht es bei Verhandlungen nicht nur um das Gehalt. Dazu ein Beispiel von einer meiner Gehaltsverhandlungen bei einer Beförderung: Meine Führungsverantwortung wurde um ein Produktionsteam im Dreischichtbetrieb erweitert. In meinem Arbeitsvertrag stand ursprünglich nichts von Nachtarbeit, doch würde ich im Notfall mein Team nicht im Stich lassen. Aber dieses Zugeständnis wollte ich meinem Arbeitgeber nicht schenken. Zudem wünschte ich mir einen Tag pro Woche im Home Office, die Flexibilität und die eingesparte Anfahrt erschienen mir attraktiv. Beide Elemente einzeln waren für jede Seite ein kleines Zugeständnis, aus dem die jeweils andere Gewinn ziehen konnte. 

Schauen Sie sich also bei Ihren Gehaltsverhandlungen an – idealerweise gemeinsam mit Ihrem Verhandlungspartner –, was für beide Seiten wertvoll sein könnte. Die Möglichkeiten reichen von Boni bis zu Fortbildungen oder Flexibilität in all ihren Formen. Im Idealfall legen beide Seiten erstmal Ideen auf den Tisch, ohne sich festzulegen. Dann können Sie diese Elemente kombinieren, bis Sie eine gute Situation erreicht haben. Gehaltsverhandlung ist dann ein zu enger Begriff, denken Sie lieber an Vertragsverhandlungen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 09/20 Nur Jobs für Spezialisten?

Franz ist aufgelöst. Seine Partnerin hat ein Angebot für ihren Traumjob in den Niederlanden in der Tasche. Eine Fernbeziehung möchten beide vermeiden. Franz würde gerne für längere Zeit ins Ausland ziehen, doch hadert er mit seinen Bewerbungen – nach vielen Stunden Recherche hat er kein einziges Stellenangebot für Bioorganiker wie ihn gefunden: „In den Niederlanden sehe ich stets nur Stellen für Polymerchemiker oder Biotechnologen.“ 

Die anderen Teilnehmenden des Karriereseminars richten sich in ihren Bürostühlen auf und starren in ihre Webcams. Sie scheinen mit Franz zu fühlen oder sind gespannt, ob es für seinen Fall eine Lösung gibt. „Who the hell needs Polymerchemiker?“, entfährt es Brian, einem kanadischen Postdoc. Er ist vermutlich der extrovertierteste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. „Weißt Du, Franz, die Hard Skills kannst Du lernen.“ 

Brian hat recht. Technisches Wissen können wir uns zügig aneignen, das macht uns Wissenschaftler aus. Es gibt zwar einige Positionen, die sehr spezielle und schwer zu erlernende Kenntnisse vom ersten Tag an erfordern, doch das sind Ausnahmen. Was wir nicht so leicht erlernen, sind die Soft Skills; es bedarf mehr als eines Kurses, um aus einem Befehlsempfänger eine Führungskraft zu machen. Noch schwieriger wird es, wenn Persönlichkeitsmerkmale fehlen. In diesen Fällen sollten Bewerbende wie Arbeitgeber die Finger von einer Zusammenarbeit lassen.

Warum fällt es Wissenschaftlern so schwer, ihre Passung an eine Stelle nicht nur über ihre fachliche Spezialisierung zu bewerten? Es liegt an der Ausbildung. Wir wurden an den Hochschulen in einem Umfeld großgezogen, in dem die rein technischen Fähigkeiten als einziger Erfolgsfaktor gelten. Nach Jahren des Studiums sind wir darauf konditioniert. Aus diesem Grund sieht sich Franz zuallererst als Bioorganiker und nicht als Wissenschaftler, der über ein breites Spektrum übertragbarer Fähigkeiten verfügt. Solche können Sie an verschiedenen Forschungsobjekten gleichermaßen erwerben. 

„Das wissenschaftliche Fachgebiet ist nur ein Kriterium unter mehreren. Schränken Sie Ihre Karriereoptionen dadurch nicht ein“, ergänze ich. „Bewirb Dich einfach!“, schließt Brian.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 07-08/20 Wettbewerb und Kooperation

Eine kurze Debatte zum Thema Netzwerken in einem Kurs für Doktoranden. Eine Hälfte der Teilnehmer soll die These „Netzwerken außerhalb meines Fachbereichs ist Zeitverschwendung“ verteidigen, während die andere Hälfte dagegen argumentiert. Als wir nach wenigen Minuten das Debattenformat verlassen, kommen eigene Meinungen zu Wort. Raffael will rasch einen Schlussstrich ziehen: „Ist doch klar. Je näher die Leute an unserem Thema arbeiten, desto eher lohnt es sich, Kontakt zu pflegen.“ Zustimmendes Nicken im Raum. 

Ich möchte das Thema noch nicht so schnell abschließen. „Rein von der Intensität her ist das einleuchtend.“ Ich zeichne konzentrische Kreise, im Mittelpunkt wir selbst, um uns herum im ersten Kreis unsere eigene Spezialisierung, dann im zweiten Kreis die anderen Naturwissenschaften, noch weiter außen dann andere Fachbereiche. Ich stimme der Gruppe zu, dass die Netzwerkintensität abfällt, wenn wir Fachbereiche betrachten, die weiter von unserem eigenen entfernt sind. „Welche Aktivitäten würden Sie in den jeweiligen Kreisen anstreben?“, frage ich in die Runde. Ich kann förmlich auf den Gesichtern lesen, dass sich überall der gleiche Gedanke formt: „Netzwerken halt.“ Schließlich meldet sich Theresa, eine Anorganikerin, die gerade erst mit der Promotion angefangen hat: „Bei dem inneren Kreis muss ich aufpassen, mich nicht zu verplappern, denn dort sitzt die Konkurrenz.“ Durch diesen Kommentar ändert sich die Haltung der anderen Teilnehmenden von abwehrend zu nachdenklich. „Bewertet werden wir meist von denen im inneren Kreis, in Auswahlgremien oder beim Peer Review unserer Anträge oder Publikationen“, fügt Raffael hinzu. Nach einigen weiteren Meldungen erhalten wir ein differenziertes Bild. 

Mit Leuten aus unserem eigenen Fachbereich sollten wir selbstverständlich Kontakt pflegen. Wir werden von ihnen bewertet, können uns von Wohlgesonnenen Rat holen und müssen taktisch denken, wenn es sich um Konkurrenten handelt. 

Aus der Netzwerkperspektive hat der zweite Kreis besonders interessante Leute zu bieten: unsere Kooperationspartner. Ich kenne das aus meiner eigenen Promotion. Die Arbeitsgruppe meines Doktorvaters konnte DNA redlich gut chemisch traktieren. Eine andere Gruppe aus demselben Spezialgebiet hätte uns nicht viel bieten können. Lohnenswert wurden Kooperationen dann, wenn unsere Moleküle Physikerinnen, Medizinern oder Biologinnen in die Hände fielen. 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 06/20 Online und Offline

Die Covid-19-Pandemie zwingt uns zu Experimenten. So schmerzhaft diese Phase sein mag, sie bietet die Chance, Gewohnheiten zu hinterfragen. Man hört immer wieder Stimmen, die sagen: „Online kann nur eine Notlösung sein.“ Doch ein Zurück wird es nicht geben. Wer sich in eine scheinbare Vor-Corona-Idylle zurücksehnt, verkennt, wie stark die Krise in das Leben aller eingreift und wie sich in den nächsten Monaten Abläufe verändern werden. 

Zeitsprung: Wir schreiben das Jahr 2030. Die Coronakrise und damit der Lockdown zogen sich über Jahre, einen Impfstoff gab es erst 2024. Wir haben gelernt, uns selbst zu den komplexesten Themen in Telekonferenzen auszutauschen. Die Technik dafür erhielt einen Schub. „Für eine einzelne Besprechung in Mannschaftsstärke nach China fliegen? Das ist ja so 2019.“ Die Zeit und Energie für Anreise und Jetlag lassen sich besser nutzen, von Umweltaspekten ganz zu schweigen.

Ähnlich sieht es in der Lehre aus. Die ersten Gehversuche 2020 erscheinen in der Rückschau fast schon tragikomisch, die Internetleitungen wurden mit Aufzeichnungen von Vorlesungen vor leerem Hörsaal und verwackelten Videos verstopft. Als der Lockdown im Jahr 2025 beendet wurde, war die Lehre um viele Instrumente reicher. Gruppengröße, Lernvorlieben sowie private und berufliche Umstände können nun bei jeder Veranstaltung analysiert und berücksichtigt werden, sodass für jeden einzelnen Fall eine fein abgestimmte Mischung aus Präsenz-und Online-Inhalten möglich ist. Teilnehmende mit Pflege-Verpflichtungen? Dann kombinieren wir Abend-Webinare mit kompakten Präsenzveranstaltungen am Vormittag. Ein internationales Team soll sich zu einer mehrtägigen Veranstaltung treffen, um persönliche Kontakte aufzubauen? Dann bietet sich ein kompakter Workshop an einem Ort an, vorbereitet durch Online-Inhalte. Ohne den Zwang durch die Pandemie -wären wir wohl nie so weit gekommen. Zwei volle Tage in einem Seminarraum verbringen, bloß weil die Trainerin von weit her anreisen muss? Das kommt uns jetzt genauso veraltet vor wie einst der Vortrag auf Latein.

Selbstverständlich kann Online nicht alle Elemente persönlicher Interaktion abbilden. Aber Präsenzveranstaltungen können auch nicht alle Vorzüge von Online abbilden: darunter zeitliche und räumliche Flexibilität und die Möglichkeit, im eigenen Tempo zu reflektieren.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 04/20 Ehrlich und kritisch

Die Masterstudentin Vanessa hat ein Angebot einer Pharmafirma, dort ihre Abschlussarbeit anzufertigen. Außer wertvollen Erfahrungen erhofft sie sich dadurch insgeheim den Sprung in die Industrie auch ohne Promotion. Sie würde den Elfenbeinturm lieber heute als morgen verlassen, um die Welt da draußen zu erkunden. Die Entscheidung fällt ihr schwer. Daher unterhält sie sich mit ihrer Kommilitonin Tina. 
„Was genau würde denn passieren, wenn du die Stelle zur Masterarbeit annehmen würdest?“, erkundigt sich Tina. „Meine Profs wären sauer. Sie wollen das nicht,“ meint Vanessa. „Sie denken, ihnen werden nach fünf Jahren harter Betreuungsarbeit die Leute abgeworben.“ Tina muss schmunzeln, der Begriff Frondienst schießt ihr durch den Kopf. „Und, juckt dich das?“, fragt sie. „Es würde sich unangenehm anfühlen. Ich will keine verbrannte Erde zurücklassen“, antwortet Vanessa. „Ob du das durchziehst oder nicht, ist deine Entscheidung“, sagt Tina. „Professoren haben keinen Anspruch drauf, dass du jahrelang bei ihnen arbeitest. Das wäre ein Weg, der nicht zu dir passt.“ Vanessa atmet durch. Mit dem Vertrag des Unternehmens würde der Einfluss der Universität und der Hochschullehrer über sie schwinden. Und sie täte damit nichts Verbotenes.
 Vanessa nahm das Angebot für eine Masterarbeit in der Industrie an und erhielt im Anschluss eine Fest-anstellung. Mittlerweile ist sie – ohne Promotion – 
zur Teamleiterin aufgestiegen.

Egal, ob Sie vor schwierigen Entscheidungen mit einer Mentorin, einer Kollegin oder Ihrem besten Freund sprechen – damit diese Gespräche Denkprozesse in Ihnen auslösen, brauchen Ihre Gesprächspartner keine herausragenden Kompetenzen oder Qualifikationen, sondern nur zwei Eigenschaften: Ehrlichkeit und die Fähigkeit, den Status Quo kritisch in Frage zu stellen. So wie Tina mit ihrer entscheidenden Frage „Juckt Dich das?“ Solche Gespräche helfen, eine klare Sicht auf eine emotional aufgeladene Situation zu bekommen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 03/20 Zeugnisse und Referenzen

In einem Karriereseminar diskutieren wir über den letzten Teil in Lebensläufen: die Referenzen. „Mein Chef und ich werden noch als Vorlage zum Film Rosenkrieg 2 dienen, wenn das so weitergeht. Da er meine Promotion betreut, muss ich ihn aber als Referenz aufführen, oder?“ fragt Jeff. „Verpflichtet sind Sie nicht“, entgegne ich. „Allerdings müssen Sie sich im Vorstellungsgespräch auf eine Frage nach dieser Lücke einstellen. Was Sie aber zusätzlich schützt: Ihre Bewerbungsempfänger dürfen keinesfalls Ihren derzeitigen Arbeitgeber ohne Ihr Wissen kontaktieren.“ 

In Deutschland befragen Arbeitgeber nur selten Referenzen, obwohl die hilfreich sein können. Ich habe von Arbeit¬gebern dazu schon mehrfach gehört: „Die Referenzen sind ja handverlesen. Wenn ich die frage ‚Ist das eine gute Bewerberin?‘, dann kommt nur: ‚Selbstverständlich‘. Das ist sinnlos.“ Das ist aber ein Problem der Fragetechnik, nicht der ¬Referenzen an sich. Informativer wären offene Fragen, etwa: „Wodurch zeichnet sich die Kandidatin aus?“ Aus der Antwort könnte ein Arbeitgeber erkennen, ob die Lobeshymne zur entsprechenden Stelle passt – oder ob für etwas gelobt wird, das für die Stelle irrelevant ist.
Bewerbende sollten diejenigen, die sie als Referenz angeben möchten, darüber informieren und ihnen mitteilen, welche Stelle sie anstreben. So sind Ansprechpartner vorbereitet, und auf diesem Wege lassen sich alte Kontakte pflegen. 
Weniger nützlich erscheinen Referenzschreiben, da für den Empfänger nicht immer klar ist, wer sie verfasst hat. 
Auch beim Arbeitszeugnis ist Vorsicht geboten: Ein Arbeitszeugnis muss wohlwollend formuliert sein, dadurch haben sich zahlreiche verklausulierte Formulierungen etabliert. Dabei ist nicht immer sicher, ob beide Seiten die Formulierungen richtig verstehen. Dadurch verkümmert dieses Dokument zur Fleißaufgabe. Dennoch müssen Sie sicherstellen, dass kein Formfehler vorliegt und etwa alle Aufgaben und Kompetenzen aufgelistet und gewichtet sind. Es bietet sich daher für beide Seiten an, das Zeugnis prüfen zu lassen, bei einem Dienstleister, einem Berufsverband oder einer Gewerkschaft. So können Sie vermeiden, dass es versteckte Seitenhiebe gegen Sie enthält – beabsichtigt oder nicht. 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 02/20 Wohin mit der abgebrochenen Promotion?

In einem Seminar für Promovierende besprechen wir, wie sich starke und schwache Teile des Lebenslaufs darstellen lassen. Nachdem wir diskutiert haben, wie wir die vielen Stationen in Elizabetas Werdegang wohl ins beste Licht setzen, grummelt Gregor: „Ich glaube, ich habe das genaue Gegenstück zu all den glanzvollen Erfahrungen.“ Zwölf Augenpaare richten sich auf ihn. Ihre Besitzer können es kaum erwarten zu erfahren, was so einen Schandfleck auf seinem Lebenslauf hinterlassen hat. „Abgebrochene Promotion,“ ergänzt er. „Lass ich da einfach eine Lücke und hoffe, dass das niemandem auffällt? Oder schreibe ich unverblümt: Berufs-Verlierer, der nicht mit seinem Doktorvater auskam?“ Unsicheres Kichern mischt sich mit Nicken. Niemand beneidet ihn darum, so etwas in seinem Lebenslauf unterbringen zu müssen.
Derselbe Gregor hatte nur eine halbe Stunde zuvor herzliches Gelächter ausgelöst. Da ging es noch um die Unterschiede zwischen Hochschule und Industrie. Er hatte sich zurückgelehnt, über seinen Bart gestrichen und uns wissen lassen: „Am bedeutendsten finde ich die Zeitachse. In der Industrie ist alles von strammem Projektmanagement bestimmt. An der Hochschule verrinnt die Zeit in, sagen wir mal, geologischen Dimensionen. Projekte laufen, bis der Tod euch scheidet.“ 

Die meisten Arbeitgeber aus der Industrie sind zufrieden mit ihren promovierten Beschäftigten. Wenn es zu Problemen kommt, sind die Klagen immer wieder die gleichen: An der wissenschaftlichen Qualifikation fehlt es in den seltensten Fällen. Unternehmen bemängeln vielmehr die mangelnde Anpassungsfähigkeit an die andere Kultur und an die Arbeitsweise in der Industrie. Unter diesem Gesichtspunkt kann eine abgebrochene Promotion sogar positiv betrachtet werden. Wenn Projekte schlecht laufen, brauchen Sie ein Reihe von Fähigkeiten. Sich durchzubeißen, ist eine davon, das zeigt jeder, der eine Promotion abgeschlossen hat. Gregor zeigt darüber hinaus, dass er in einer verfahrenen Situation eine unangenehme Entscheidung treffen kann – eine hochgradig relevante Fähigkeit für eine Tätigkeit in der Industrie, wo der Takt ein anderer ist als an der Hochschule.

Selbstverständlich sollten Sie niemals negativ über ehemalige Arbeitgeber sprechen. Es gibt allerdings viele Gründe, warum ein Arbeitsverhältnis unproduktiv werden kann. Deshalb müssen Sie holprige Stellen im Lebenslauf nicht verstecken. Beschreiben Sie einfach, was Sie getan haben, warum Sie sich so entschieden und was Sie daraus gelernt haben. 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 01/20 Entscheiden: erst ob, dann wie

Geert sieht furchtbar aus. Ihm stehen die Haare zu Berge, die Augenringe sprechen Bände. „Danke dafür, dass ich mich auskotzen konnte“, brummt er ins Telefon. Was er in den letzten Tagen durchgemacht hat, ist oft eine Rechtfertigung für die höheren Gehälter von Führungskräften: Stress, sich mit unangenehmen Entscheidungen auseinandersetzen zu müssen. Die Entscheidung, die Geert seit Tagen vor sich herschiebt, könnte schwieriger kaum sein. Eine seiner Mitarbeiterinnen hatte stundenlang Pausen gemacht und diese als Arbeitszeit erfasst, ein Vertrauensbruch. An ihrer Zeiterfassung war zu erkennen, dass sie den Betrug über Monate schrittweise getestet hatte. Und nun weiß Geert nicht, wie er reagieren soll. Was die Sache so schwer macht: Sie hat Kinder zu versorgen, die Familie ist auf ihr Einkommen angewiesen. 
Bevor Geert auflegen kann, hört er noch einmal die Stimme seines Schulfreundes aus der Leitung: „Besteht die Chance, dass Du ihr jemals wieder vertrauen kannst?“ „Nein!“ schießt es aus Geert heraus, seine Stimme überschlägt sich fast. Ohne weiteren Kommentar legt sein Freund auf. 

Unliebsame Entscheidungen schieben wir oft auf die lange Bank. Doch dort lösen sie sich nicht in Wohlgefallen auf, sondern zersetzen unsere Glaubwürdigkeit und verursachen weitere Konflikte. Rationell würden die meisten Menschen zustimmen, dass wir Entscheidungen zügig treffen sollten, sobald ausreichend Fakten vorliegen. Warum handeln wir so selten nach diesen Grundsätzen?
„Wenn ich ihr nie wieder vertrauen kann, dann ist weitere Zusammenarbeit sinnlos“, kommt es Geert in den Sinn. Eigentlich versteht er sich nicht als kaltherzigen Vorgesetzten. Aber seine Mitarbeiterin war diejenige, die ihre Stelle riskiert hat. Schließlich bereitet Geert die fristlose Kündigung mit der Personalabteilung vor, ausreichend Beweise hat er. 

Machen Sie es wie Geert und zerlegen Sie die Entscheidung: Zuerst hat er entschieden, ob er die Zusammenarbeit beenden soll. Die Frage seines Freundes lieferte ihm die Antwort. Dann musste er Frieden damit finden, dass er diese Entscheidung nicht mehr ändern würde. Nach dem Ob kommt im zweiten Schritt das Wie. Nun gilt es, die am wenigsten schlechte Lösung zu finden. 
Wenn wir diese beiden Teile der Entscheidung nicht trennen, überschattet das allzu schwierige Wie das Ob. Wir möchten uns gar nicht vorstellen, wie unangenehm die Situation wäre, also verschieben wir die Entscheidung.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 12/19 Soziale Medien

In einem Seminar über Selbstmarketing besprechen wir den Einsatz sozialer Medien. Die Diskussion, die sogleich entbrennt, könnte einem den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Doch bereits nach zwei Aussagen ist das Feld abgesteckt. ¬Clara, eine temperamentvolle Postdoktorandin, schnaubt gleich los: „Das ist vielleicht ein netter Zeitvertreib, wie Enten füttern oder Netflix glotzen. Beruflich hat das aber noch niemanden vorangebracht. Oder denkst du, die Personalabteilung von Novartis wartet nur auf den genialsten Post des Monats, um Stellen zu besetzen?“ Den Fehdehandschuh an alle Kursteilnehmer, die bereits mehr als dreimal in ihrem Leben einen -Like-Button geklickt haben, greift Sven betont kühl auf. „Ich möchte ja nicht altklug klingen,“ beginnt er in schulmeisterlichem Ton, „aber wenn du dich nur im Labor vergräbst und dann denkst, dass fachfremde Personaler deine Brillanz an deiner zwölften Publikation ablesen können, irrst du.“ Er überschwemmt den Raum mit einer Flut an Anglizismen, die in seinen Augen alle furchtbar wichtig sind: visibility, traffic, likes und shares. Er schließt – ganz wertfrei natürlich –, dass jeder selbst wissen müsse, in welchem Jahrhundert er leben möchte. 

„Obwohl Ihre Meinungen nicht weiter auseinanderliegen könnten, haben Sie beide recht“, resümiere ich. 
In einem sind alle sozialen Medien gleich aufgebaut: Um Netzwerkeffekte zu erzielen, müssen sich möglichst viele Leute darin bewegen, als Schreibende, Lesende, Likende oder Sharende. Dabei ist es für den Erfolg des Netzwerks unerheblich, ob der Austausch substanziell oder oberflächlich ist. Ob wir mit unseren Bemühungen etwas erreichen oder nur ein paar Leute gelangweilt einen Like-Button drücken, lässt sich kaum ergründen. Deshalb vertrauen wir allzu leicht – und mit freundlicher Unterstützung der Anbieter – auf Ersatz-Messgrößen wie eben die likes und shares, die Traffic und Sichtbarkeit anzeigen sollen. Wir freuen uns darüber und werden im schlimmsten Fall süchtig danach, obwohl dahinter vielleicht gar kein echtes Interesse steckt – nur Rauschen, kein Signal.
Private soziale Medien dienen der Unterhaltung, zu nichts anderem. Dies sollte nicht mit Beruflichem vermischt werden. Berufliche Netzwerke sind hilfreich, um entfernte Kontakte aufrecht zu erhalten oder wegen einer Frage gezielt nach Personen zu suchen. Wenn Sie gerne sammeln, können Sie das mit Briefmarken, likes oder shares machen. Beruflich nimmt sich das nichts. 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 11/19 Was bedeutet Mobilität?

In einem Seminar für Postdocs diskutieren wir, ob es für Dirk sinnvoll ist, auf ein Emmy‐Noether‐Stipendium für Nachwuchsgruppenleiter hinzuarbeiten. „Dafür muss ich Auslandserfahrung mitbringen, und das kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Ich möchte meine Kinder nicht mehrfach umtopfen müssen,“ wendet er ein. Seine Formulierung lässt den Rest der Gruppe schmunzeln, aber ich sehe auch sorgenvolle Blicke, die verraten, dass er mit seinen Bedenken nicht allein ist. „Ja, Sie brauchen Erfahrungen aus dem internationalen Umfeld, doch ist das nicht unbedingt ein Auslandsaufenthalt“, relativiere ich. Selbst beim Emmy‐Noether‐Programm mit seiner strengen Auswahl wurden die Kriterien für internationale Erfahrungen erweitert: Diese können Bewerber auch über Kooperationen oder ein internationales Arbeitsumfeld nachweisen. Natürlich ist es harte Arbeit, gegenüber der Konkurrenz mit Auslandsaufenthalten zu bestehen, insbesondere bei den Berufungskommissionen, die meist wenig nachgiebig sind. Versuchen Sie also, das zu beschreiben, was Sie gelernt haben, wie Sie Ihre Arbeitstage verbracht haben und wie diese Erfahrungen Ihre Arbeitsweise verändert haben.

Was steckt hinter der Forderung nach internationaler Erfahrung? Die Wissenschaftsorganisationen möchten weltoffene Geister fördern, die Inspiration aus mehreren Quellen schöpfen. Sie sollen nicht nur wissen, wie es am Heimatinstitut läuft, sondern zudem die Situation ihrer zukünftigen Mitarbeitenden aus dem Ausland verstehen können.

Die Wissenschaftsorganisationen haben einen sinnvollen Schritt getan, das harte Kriterium des Auslandsaufenthalts aufzuweichen. In Zeiten immer verschiedenartigerer Lebensläufe junger Menschen ist dies ein positives Zeichen. Denn wer garantiert, dass die Forschung in einer Postdoc‐Blase den Horizont erweitert? In dieser Phase ist man manchmal nicht ans Geschehen am Institut eingebunden und bekommt dann wenig davon mit, wie diese Organisation funktioniert. Manch laborversessener Postdoc bemerkt den Wechsel des Aufenthaltsortes nur daran, dass die Tütensuppe nun nicht mehr von Sainsbury, sondern von Carrefour kommt, der Lerneffekt ist gering. Ob Sie an Auslandserfahrung wachsen, hängt davon ab, wie Sie Ihren Postdoc verbringen.

Und vielleicht kann Erweiterung des geistigen Horizonts noch weiter gedacht werden? Warum sollten Wissenschaftsorganisationen nicht auch Inspirationsquellen wie einige Jahre Industrieerfahrung positiv bewerten?

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 10/19 Geschichten, keine Romane

In einem Karriereseminar, Programmpunkt Vorstellungsgespräch. Nach einer Einführung dazu, wie man interessante Geschichten erzählt, versuchen wir, das Gelernte auf den Standardeinstieg anzuwenden: „Erzählen Sie bitte etwas über sich selbst.“ Was wir bei den ersten Versuchen zu hören bekommen, klingt wie wohlformulierte Artikel aus der Angewandten Chemie mit Titeln wie „Synthese und Analyse meines bisherigen Lebens sowie Anwendung auf das Fallbeispiel ‚Arbeit bei Chemiekonzern X‘ “ oder „Eine logische Herleitung der persönlichen Eignung für die Stelle.“ Wäre ein induktiver Beweis die Themenstellung gewesen, hätte das schnittig sein können. Im Gespräch mit einer Personalerin allerdings heißt es: Thema verfehlt.

„Erst im allerletzten Satz haben Sie wissen lassen, warum Sie hier sind“, kommentiere ich. „Versetzen Sie sich in Ihre Gegenseite. Nach zehn Semestern Wirtschaftspsychologie würde ich zu diesem Zeitpunkt wohl denken: ‚Die Flusen auf meiner Jacke gehören auch mal wieder abgebürstet. Gähn!‘ “

Wenn Sie in einem Vorstellungsgespräch über sich erzählen sollen, erwartet Ihr Gesprächspartner eine gehaltvolle Geschichte, jedoch keinen Beweis oder Roman. Bei einem Beweis benötigen Sie die unbedingte Logik, die Sie Stück für Stück aufbauen müssen, bis Sie endlich ausrufen können: „Quot erat demonstrandum!“ Bei einem Roman bauen Sie eine Art Bühne auf, entwerfen einen ganz langen Spannungsbogen, den Sie dann am Höhepunkt, gegen Ende der Geschichte, auflösen: „Der Gärtner war‘s, er hat die Großmutter umgebracht!“

Ein Vorstellungsgespräch folgt zwar auch einer Logik, und Sie sollen durchaus Neugierde erzeugen. Doch müssen Sie hierfür den Spannungsbogen aus dem Roman umdrehen. Lassen Sie Ihre Zuhörer gleich zu Beginn wissen, warum es sich lohnen wird, Ihren Ausführungen zu folgen. Stellen Sie sofort die Verbindung zwischen Ihrer Vita und dem Arbeitgeber her. Erst danach liefern Sie die Details, die Ihre Angaben untermauern. Dabei brauchen Sie nicht Ihren Lebenslauf nachzuerzählen, die Personaler haben ihn bereits gelesen. Dann spielen Sie den Ball wieder zurück zur Gesprächspartnerin. So kommen Sie in Gesprächsfluss und heraus aus der Roman‐ oder Beweisecke.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 09/19 Eine erfolgreiche Promotion

„Wer von Ihnen hat einen Promotionsplan?“ frage ich in die Runde eines Zeitmanagement‐Seminars. Elf Promovierende schauen mich an, als hätte ich sie gefragt, wann das letzte UFO auf ihrem Campus gelandet ist. „Einen Zeitplan, was in den nächsten drei Jahren geschehen sollte“, schiebe ich nach. „Oh, so etwas habe ich“, meint Marius. „Mit meiner Betreuerin habe ich einen langfristigen Forschungsplan erstellt. Alle sechs Monate gibt es ein offizielles Meeting, um den Fortschritt zu diskutieren und Ziele festzulegen.“ „Ein guter Anfang! Enthält der Plan auch etwas anderes als Forschung?“, frage ich. „Nein. Was denn sonst?“

„Wie definieren Sie eine erfolgreiche Promotion? Was müssen Sie in den nächsten Jahren erreichen, damit die Promotion keine Zeitverschwendung war?“, erwidere ich. „Ein paar Publikationen, idealerweise in High‐Impact‐Journals“, entgegnet Marius. „Und eine gut geschriebene Promotionsschrift“, fügt Anna hinzu. Der Rest der Gruppe nickt. Ich hake nach: „Sonst nichts?“ Schweigen. „Das heißt also: Wenn Sie eine Erstautorenschaft in der Angewandten Chemie haben und eine intellektuell atemberaubende Doktorarbeit verfassen, dann war es eine erfolgreiche Promotion?“ Wieder Nicken.

Die Betreuer dieser Promovierenden würden vermutlich zustimmen. Immerhin unterstützen die Doktoranden mit ihren Publikationen deren Karriere, und die Promotionsschrift benötigen sie für ihren Abschluss. Ich würde eine erfolgreiche Promotion so definieren: Danach sind Sie anstellbar, und der Prozess hat Sie nicht um den Verstand gebracht.

„Wer von Ihnen strebt die akademische Laufbahn an?“, frage ich. Nur Anna hebt zögerlich die Hand. „Sonst niemand?“

Die anderen zehn schütteln ihre Köpfe.

In der akademischen Welt werden Sie durch Publikationen anstellbar. Keine Frage. Außerhalb des Elfenbeinturms allerdings interessiert sich kaum jemand dafür oder für Ihre Dissertation. Arbeitgeber wollen Fähigkeiten, professionelle Entwicklung und Ihre Energie sehen. Wenn sich Ihre Promotion nur um Publikationen dreht, dann fördern Sie nicht Ihre Anstellbarkeit. Natürlich steht Ihre Forschung in der Promotionszeit an erster Stelle, sie ist aber nicht das Einzige. Zu Ihrem Promotionsplan sollten auch Dinge wie Softskill‐Kurse, Ferienakademien, Konferenzen oder Öffentlichkeitsarbeit gehören. Und schließlich: Anstellbarkeit alleine bringt Ihnen nichts, wenn Sie Ihre Promotion mental und körperlich zerbrochen beenden – Urlaub, Sport und soziale Kontakte sollten Teil Ihres Plans sein.

Karin Bodewitz, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 07-08/19 Denken Sie nicht 8–8–8

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Berufe familienfreundlich sind“, urteilt Maya, eine Doktorandin. Sie hat in unserem Frauen‐und‐Karriere‐Seminar bereits gesagt, dass sie in den nächsten Jahren eine Familie gründen möchte. Ich beobachte, wie sie gerade für Kinder Platz macht, die noch gar nicht existieren: Mit dickem Stift streicht sie auf ihrem Arbeitsblatt die Optionen „Beratung“, „Hochschulkarriere“ und „Vertrieb“ durch. Doch anstatt sie zu fragen, ob sicher sei, dass sie und ihr Partner überhaupt Kinder bekommen können, werfe ich ein: „Was genau ist ein familienfreundlicher Beruf für Sie?“„Einer, bei dem ich nicht reisen muss, zumindest nicht mehrmals im Monat. Und idealerweise mit flexiblen Arbeitszeiten.“ „Ist Reisen familienunfreundlich?“, erkundige ich mich. „Natürlich!“, platzt eine andere Teilnehmerin heraus, die mich ansieht, als wäre das die lächerlichste Frage seit Jahrzehnten. „Du kannst dann deine Kinder nicht einmal selbst ins Bett bringen“, schiebt Maya nach.

„Vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, wenn Sie nicht jeden Abend die Kinder ins Bett bringen“, entgegne ich. „Ihr Partner hat dann Gutenachtgeschichte und Küsschen für sich alleine. Und Sie können eine Nacht durchschlafen und ein Abendessen ohne Unterbrechungen genießen.“

Dieses Seminar ist keine Ausnahme. Beim Thema Karriere gehen die Diskussionen oftmals in eine ähnliche Richtung. Wir schieben ganze Berufszweige beiseite, weil wir denken, wir könnten nicht darin erfolgreich sein und uns gleichzeitig um unsere Familien kümmern. Der Grund für unsere Ablehnung ist dabei meist, dass wir die perfekte Work‐Life‐Balance, das magische 8–8–8 zum Mantra erheben, also jeweils acht Stunden Arbeit, Schlaf und Privatleben. Aber jeden Tag diese Balance zu halten, ist unerreichbar, und das ist ganz normal. Zu manchen Zeiten dominiert die Arbeit, Sie haben Termindruck oder eine Geschäftsreise. Zu anderen Zeiten hat das Privatleben mehr Gewicht, etwa wenn Ihr Sohn ein Tanzturnier hat oder wenn Sie während der Schulferien früher nach Hause müssen.

Denken Sie darüber nach, wie viel Zeit und Gewicht Sie den einzelnen Teilen in Ihrem Leben geben möchten. Dabei sollte Ihre eigene Balance herauskommen, und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg. Dass das jeden einzelnen Tag so sein wird, ist unrealistisch. Genießen Sie lieber die Abwechslung.

Karin Bodewitz, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 06/19 Wie man es dreht und wendet

In einem Bewerberseminar schlage ich einen Perspektivwechsel vor: Die Teilnehmenden sollen sich die Bewerbungsunterlagen nicht einfach nur anschauen und kommentieren, sondern zunächst arbeiten wie Personaler – unter Zeitdruck: Sie haben pro Bewerbung genau drei Minuten Zeit und sollen dann einen Fragebogen über die Bewerber beantworten. Nach fünf dieser dreiminütigen Kurzanalysen zeigen die Gesichter deutliche Ermüdungserscheinungen. Einer stöhnt: „Man kann immer schnell einen Haken machen bei „Stark in der Wissenschaft“, doch wenn man mehr wissen will, muss man lange suchen.“

Gemeinsam analysieren wir die Bewerbungsunterlagen und finden immer wieder die gleichen Muster. Etwa bei einer Teilnehmerin, die sich auf eine Position in der Wissenschaftskommunikation bewirbt. „Sie haben als Zweitstudium einen Master of Journalism absolviert. Wo steht das?“, frage ich sie. „Mein Lebenslauf soll ja in umgekehrter chronologischer Reihenfolge stehen. Und den Master habe ich vor vier Jahren abgeschlossen.“ Er steht daher in der unteren Hälfte der ersten Seite. „Wenn Sie etwas verstecken möchten, wo würden Sie das tun?“, frage ich sie. Sie muss schmunzeln und deutet auf genau diese Stelle im Lebenslauf.

In den meisten Bewerbungsunterlagen nehmen die Abschnitte „Berufserfahrung“ und „Ausbildung“ viel Raum ein. Oft müssen sich die Leser bei jeder Station durch lange und redundante Listen an Fähigkeiten kämpfen und erfahren dabei doch nicht so recht, was Sie als Bewerberin hervorhebt. „Postdoc: Organische Synthese … Promotion: Organische Synthese … Masterarbeit: Organische Synthese …“ Meist stehen dort noch die kryptischen Titel der Abschlussarbeiten und die Namen der Betreuer, die nur absoluten Fachleuten etwas sagen.

Halten Sie die Beschreibungen beim Werdegang also knapp: Beschreiben Sie kurz Aufgaben und Erfolge. Das reicht und ist aussagekräftiger.

Um die wahren Schätze hervorzuheben, bietet sich ein Abschnitt „Highlights“ oder „Profil“ an, den Sie ganz oben auf die erste Seite direkt vor den Werdegang stellen. Das können vier bis fünf Schlagworte oder Aufzählungspunkte sein, die aus Sicht Ihrer Leser besonders relevant sind. Achten Sie dabei darauf, dass Sie zusammenfassende Formulierungen wählen, um Redundanzen mit dem Anschreiben und dem Hauptteil des Lebenslaufs zu vermeiden. Damit sind Sie frei von den Fesseln der Chronologie.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 05/19 Das Bewerbungsparadox

Der Kurs in einem Karriereseminar wird in zwei Kleingruppen aufgeteilt. Beide erhalten je ein Kartenset. Die eine Gruppe bekommt das Set mit typischen Bewerbungsstrategien, von „Auf Stellenausschreibung antworten“ bis zu „Arbeitsprobe abliefern“. Das Set für die andere Gruppe stellt dar, wie Arbeitgeber gerne Bewerbungen erhalten, etwa „Initiativbewerbung“ und „Praktikantin einstellen“.

Jedes Team arbeitet an einem Ranking, was die jeweils bevorzugten Pfade der Bewerbung beziehungsweise der Mitarbeitergewinnung sind. Als die Zeit für die Übung abgelaufen ist, legen wir die beiden Rankings nebeneinander, und es dauert nicht lange, bis Laute des Erstaunens zu hören sind: „Die sind ja genau gegenläufig“, meint Postdoktorandin Steffi.

In der Tat. Die Liste des Bewerberteams geht von der Topposition „Auf Stellenausschreibung antworten“ über „Arbeitsprobe abliefern“ bis hin zu „Direkter Kontakt (zum Beispiel Praktikum absolvieren)“. Bei der Arbeitgeberseite steht ganz oben: „Interne Kandidaten (Praktikantin) einstellen“, während „Stelle ausschreiben/Initiativbewerbung empfangen“ ganz unten rangiert.

„Was war denn Ihr Ziel beim jeweiligen Ranking, wonach haben Sie optimiert?“, frage ich in die Runde. Soumitra, einer der „Arbeitgeber“, meldet sich zu Wort. „Wenn ich eine gute Praktikantin habe, weiß ich, dass sie auch auf einer festen Stelle gut sein wird. Das Risiko ist geringer.“ „Welches Risiko?“, bohre ich nach. „Nun, jemanden einzustellen, der schnell wieder geht oder nicht auf die Stelle passt, das kostet viel Geld“, erklärt er. „Und auf der Bewerberseite, was war hier Ihr Ziel?“, frage ich in die andere Gruppe. „Ich will ja schnell eine Stelle, die gut passen soll. Ich filtere die Ausschreibungen nach meinen Vorlieben“, erklärt Emöke für die Bewerberseite. „Das ist schneller, als erst ein Praktikum zu absolvieren.“

Willkommen beim Bewerbungsparadox. Arbeitgeber und Bewerber haben unterschiedliche Ziele: Bewerber minimieren den Zeitaufwand, Arbeitgeber Fehlentscheidungen. Genau das erklärt, warum es sich aus Bewerbersicht lohnt, frühzeitig mit wenigen, gut gewählten Arbeitgebern Kontakt zu suchen, etwa durch Kooperationen, Einzelgespräche, Praktika oder Summer Schools. Die Massenbewerbung, bei der nur ein Abschnitt aus dem Anschreiben angepasst wird, sagt für Arbeitgeber nichts darüber aus, ob Bewerber fähig und willens sind, sich auf die Arbeit einzulassen. Arbeitgeber wollen ihr Risiko minimieren. Helfen Sie ihnen dabei.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 04/19 Forschungsgelder aus der Industrie

In einem Seminar für Habilitanden und Juniorprofessoren besprechen wir das Thema Fördergelder. Nachdem wir die üblichen Verdächtigen behandelt haben, erkundige ich mich, ob sich jemand auch nach Geldern aus der Industrie umgesehen hat. Fred, der sich gerade auf seine ersten Berufungsverfahren vorbereitet, antwortet reflexhaft: „Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich als verlängerte Werkbank einspannen lasse. Dann kann ich ja gleich für die arbeiten – und mehr verdienen!“

Bei diesem Vorurteil setze ich an: „Sie müssen bei jeder Geldquelle fragen, ob diese zu Ihnen und Ihrer Forschung passt und ob Sie unterstützt oder ausgenutzt werden.“ Ich lasse eine Pause, bis erste unsichere Blicke von Teilnehmenden zu Jane gleiten. Sie hatte berichtet, dass ihr Stipendiengeber sie wie eine heiße Kartoffel fallen ließ, als eine konkurrierende Gruppe über ihr Thema veröffentlichte. Auf harte Bedingungen können Sie überall stoßen, selbst bei Stiftungen oder Vereinen.

„Bei allen Geldquellen müssen Sie genau hinsehen, egal ob öffentlich oder privat.“ Die Argumente, dass Gelder aus der Industrie irgendwie schmutzig seien und Ihre Integrität als Forscher beschädigen könnten, gelten als überholt. Das Einwerben von Drittmitteln ist ein entscheidendes Berufungskriterium, und solange Sie gute Forschung betreiben, ist es egal, woher das Geld kommt. Mit einem vielseitigen Portfolio an Geldquellen können Sie beim Berufungsverfahren also punkten.

Wenn Sie Industriegelder einwerben, haben Sie es allerdings mit einem Partner zu tun, der komplexe Eigeninteressen hat. Prüfen Sie vorab, ob Ihre Forschungsfreiheit eingeschränkt ist. Können Sie noch veröffentlichen, und wenn ja, mit welchen Einschränkungen? Mit wem und wie können Sie Ihre Ergebnisse und Ideen teilen? Hinterfragen Sie die Motive Ihrer Partner: Sind Sie für die Industrie interessant, weil Ihre Doktoranden billiger sind als Festangestellte in der Industrie? Oder geht es darum, aus Ihrer Forschung eine kommerziell relevante Anwendung zu entwickeln?

Nach einer lebhaften Diskussion ergänze ich: „Sie sollten auch die Entwicklung Ihrer Doktoranden und Postdocs im Hinterkopf behalten.“ Vielleicht möchten einige in die Industrie wechseln. Für sie wäre Industriekooperation eine tolle Erfahrung, ihr Marktwert stiege. Und das wiederum verliehe Ihnen als Gruppenleiter den Ruf, dass Sie sich um die Zukunft Ihrer Doktoranden kümmern und ein Netzwerk außerhalb der Universität haben.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 03/19 Show, don't tell

In einem Seminar über Selbstmarketing frage ich in die Runde: „Neigen Naturwissenschaftler zum Aufschneiden?“ Die Frage ruft völlig unterschiedliche Antworten hervor. Einerseits ist der Homo scientiae häufig introvertiert und versucht, mehr durch die Arbeit an der Laborbank zu glänzen als durch Selbstdarstellung. Dies trifft insbesondere auf jüngere Wissenschaftler zu. Andererseits zeigen Untersuchungen zu der Entwicklung der Persönlichkeitseigenschaften im Verlaufe eines Wissenschaftlerlebens, dass etablierte Forscher zu Dominanzgebaren neigen können. Wie finden wir das richtige Maß? Wie verhindern wir, dass wir uns als Mauerblümchen unter Wert verkaufen oder unser Umfeld durch dominantes Verhalten verprellen?

In meinen Seminaren bewegt sich die Diskussion nach dieser Eröffnungsfrage meist in die Richtung Kompromiss, so auch in diesem Fall: „Dann muss ich eben doch etwas dicker auftragen, oder?“ Das scheint mir nicht die optimale Lösung zu sein, eher der kleinste gemeinsame Nenner zwischen zwei Extremen. Sie treten dennoch als Aufschneider auf, aber nur ein bisschen. „Warum machen Sie es nicht wie in der Wissenschaft?“, frage ich zurück, „Warum lassen Sie nicht die Fakten für sich sprechen und überlassen die Wertung Ihrem Gegenüber? Dann stehen Sie gut da, ohne in Selbstlob verfallen zu müssen.“

Wenn Sie genügend Zeit in Ihre Vorbereitung stecken, finden Sie sicherlich Erfahrungen aus Ihrer Vergangenheit, die Sie mitteilen möchten. „Show, don‘t tell“ ist hier der Tipp, den Sie auf viele Situationen in puncto Selbstdarstellung anwenden können, sei es in Bewerbungsanschreiben, Vorstellungsgesprächen oder in der Kaffeepause einer Konferenz. Erzählen Sie die Fakten und lassen Ihr Gegenüber zu den Schlussfolgerungen kommen. Das ist Selbstdarstellung ohne Angeberei. Nehmen wir an, Sie möchten in einem Vorstellungsgespräch vermitteln, dass Sie Organisationstalent haben. Wenn Sie eine internationale Konferenz organisiert haben, dann benötigen Sie kein Eigenlob und keine Superlative, um gut dazustehen. Erzählen Sie, welche Herausforderungen Sie gemeistert haben. Anders ausgedrückt: Zeigen Sie die Daten. Ihre Zuhörer kommen dann von selbst darauf, dass Sie Organisationstalent haben.

Aber erwähnen müssen Sie Ihre Erfahrungen schon, sonst verkümmern Sie in der Mauerblümchen‐Ecke.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 02/19 Blinde Flecken

In einem Seminar diskutieren wir über Karrieren: „Jennifer musste für ihre erste Stelle um die hundert Bewerbungen schreiben. Nach 18 Monaten im Job ist sie dann ohne Aufwand zu einem anderen Arbeitgeber gewechselt. Warum war das so viel einfacher?“, will ein Doktorand wissen. Der Berufseinstieg ist in der Tat viel schwieriger als die Schritte danach. Das liegt zum Teil am eigenen Verhalten: Wir netzwerken nach Verlassen des Elfenbeinturms aktiver und strategischer. Zudem weitet sich der Blick auf Karriereoptionen. Aber warum steigt unser Marktwert in den Augen der Arbeitgeber, wenn wir Industrieerfahrung haben? Wir haben uns und unseren Seminarteilnehmern diese Frage oft gestellt und kommen auf vier Fähigkeiten, die wir an der Uni nicht oder kaum lernen:

Qualitätsmanagement (QM): Unis arbeiten meist ohne formales QM‐System, Industriebetriebe hingegen fast alle damit. Sie können bereits an der Uni Kurse zu Qualitätsmanagement besuchen und dadurch andeuten, dass Sie wissen, worauf Sie sich einlassen. Oder Sie etablieren – mit Fingerspitzengefühl – ein eigenes QM‐light‐System in Ihrer Arbeitsgruppe.

Führungserfahrung: In der Regel haben Universitätsabsolventen in einem Organigramm noch nie oberhalb einer anderen Person gestanden. Doch auch das Erteilen von Seminaren, das Anleiten von Forschungspraktikanten oder die Leitung einer Pfadfindergruppe sind Führungserfahrungen, oft sogar sehr komplexe. Wenn Sie einer Gruppe Zehnjähriger erklären sollen, dass sie erst die Zelte aufbauen müssen, bevor sie in den See springen dürfen, dann können Sie sich nicht hinter Ihrer Position verstecken oder einen Bonus kürzen, dann müssen Sie überzeugen. Und das in der Bewerbung entsprechend verkaufen.

Kommerzielles Denken: Zeigen Sie, dass Sie mit Geld umgehen können, etwa indem Sie Ihrem Chef Hilfe bei der Verwaltung des Laborbudgets anbieten.

Verständigung mit Laien: An der Hochschule haben Sie mit Kollegen aus der ganzen Welt zu tun. Und doch leben Sie in einer Blase, einer Brain‐bubble. Sie können problemlos Monate nur mit Doktoranden oder Postdocs verbringen. In der Industrie müssen Sie mit Kunden, Mitarbeitern, Vorgesetzten und anderen reden, die Ihre Fachsprache nicht verstehen. Vielleicht finden Sie ja Zeit, Ihre Arbeit Laien vorzustellen. Beim Vorstellungsgespräch sollten Sie Ihr Gegenüber nicht mit Jargon und Details überschwemmen.

Sie können während des Studiums nicht alle Aspekte von Industrieerfahrung kennen lernen. Aber Sie können sich der Lücken bewusst sein, in Ihrer Vergangenheit nach passenden Erlebnissen graben und versuchen, einige der Lücken zu schließen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 01/19 Angebot und Nachfrage

„Sie stecken also bereits mitten in der Bewerbungsphase. Das ist ja eine tolle Fallstudie für uns“, sage ich zum Teilnehmer eines Karriereseminars und erkundige mich, wie er vorgeht. „Nun, ganz normal“, antwortet er. „Einige Firmen kenne ich vom Hörensagen oder von Karrieremessen, oder weil wir deren Kunden sind. Bei denen schaue ich mich auf der Homepage um, darüber hinaus stöbere ich in Stellenbörsen und habe meinen Lebenslauf aufpoliert. Und wenn ich was Interessantes sehe, dann bewerbe ich mich, ganz einfach.“ Im Raum hie und da Nicken. Doch das Herunterrattern von einem so offensichtlichen Ablauf reißt niemanden vom Hocker. „Und, waren Sie erfolgreich?“, bohre ich nach. „Ich habe 35 Bewerbungen abgeschickt und bisher nur eine einzige Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten. Dabei ist aber kein Angebot rausgekommen.“ 

Was der Teilnehmer hier erzählt, ist in der Tat der Standardablauf, um sich zu bewerben. Und auch der Hauptgrund, warum es bei vielen Absolventen so lange dauert, bis sie eine Stelle angeboten bekommen. Es liegt meist nicht am Fachwissen, auch nicht an den Bewerbungsunterlagen, sondern dem simplen ökonomischen Grundsatz von Angebot und Nachfrage. Wer Standardwege wählt, ist dort nicht alleine unterwegs. Und dort, wo viele Leute unterwegs sind, ist es schwieriger herauszustechen. 

 „Ich weiß nicht so recht, was soll ich denn sonst noch tun?“, meint der Teilnehmer dazu. 
Bei der Stellensuche verfallen wir in Automatismen: Wir bewerben uns bei Arbeitgebern, die uns bekannt vorkommen, an Orten, die wir kennen oder von denen bekannt ist, dass sie attraktiv sind. Wir beschränken uns auf Tätigkeiten, von denen wir wissen, dass wir sie können – nach der Promotion ist dies eben die Forschung. Und genau das sind die drei Dimensionen, mit denen wir uns das Leben erleichtern können: Wir könnten kleinere Organisationen suchen, weniger bekannte Orte nicht ausschließen und die ganze Bandbreite an Stellen, für die wir einsetzbar wären, kennenlernen. Wenn Sie bei Ihren Bewerbungen nicht weiterkommen, dann schauen Sie, wo Sie am besten ansetzen können. Wenn Sie dann beispielsweise nach einem eingehenden Blick in Ihr Innenleben feststellen, dass Sie nicht fernab der Metropolen leben können und dass Sie tatsächlich nur in der Forschung glücklich sind, dann bleibt Ihnen immer noch die Stellschraube, sich bei den kleineren Firmen umzusehen. 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers 

Heft 11/18 Sichtbarkeit, Glaubwürdigkeit und dann erst Profit

Stehempfang bei einer Konferenz. Während ich meine Augen nach Gesprächspartnern offen hielt, beobachtete ich, wie eine Doktorandin selbstsicher auf einen Professor zuschritt, der alleine an der Bar stand. „Darf ich mich vorstellen?“, waren ihre ersten Worte, während sie ihm die Hand entgegenstreckte. Während des Händedrucks nannte sie ihren Namen und ihr Institut. Der Professor erwiderte mit einem Lächeln und hörte aufmerksam zu. Der Name ihrer Doktormutter schien bei dem Gesprächspartner nur Fragezeichen auf der Stirn zu hinterlassen, das Forschungsgebiet wurde nicht erwähnt. „Ich habe bereits viele Ihrer Publikationen gelesen, und Ihre Arbeit interessiert mich sehr“, fuhr die Doktorandin fort, ohne zu sagen, was es denn nun sei, das sie so faszinierte. Immer noch lächelte der Professor, ohne zu wissen, in welche Richtung die Unterhaltung gehen würde. „Ich werde meine Promotion in den nächsten Monaten abschließen und würde gerne wissen, ob in Ihrem Labor eine Postdoc-Stelle frei wird?“ Die Stirn des Zuhörers legte sich in Falten. Seine Neugierde wich umgehend einem Fluchtreflex. „Derzeit leider nicht, aber Sie können gerne nach Stellen auf meiner Homepage Ausschau halten.“, sagte er und verabschiedete sich mit einem Nicken. Die Doktorandin schien zu ahnen, was das bedeutet. 

Für mich war die Unterhaltung instruktiv. Gutes Netzwerken verläuft meist in drei Phasen: 1. Sichtbarkeit, 2. Glaubwürdigkeit und 3. Profit. Zuerst müssen Sie also gesehen werden, Sie müssen irgendwie aus einer Menge an Leuten herausstechen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, etwa mit einer Präsentation oder, wie es die Doktorandin getan hatte, indem Sie sich vorstellen. Danach sollte eine Phase folgen, in der Sie Ihre Glaubwürdigkeit unterstreichen: Ihr Gesprächspartner sollte Sie als professionell und interessant wahrnehmen. Je nach Herkunft der Gesprächsteilnehmer und Situation dauert diese Phase unterschiedlich lange – manchmal Jahre. Erst nach dieser Phase können Sie zur letzten Phase übergehen und das Ziel Ihrer Unterhaltung ins Visier nehmen. Jetzt können Sie sich nach freien Stellen erkundigen oder eine Zusammenarbeit vorschlagen. Wenn wir zu schnell auf unseren Profit abzielen, dann nerven wir schlicht. Wenn wir hingegen Phase 3 weglassen und hoffen, dass wir entdeckt werden, dann sitzen wir in der Dornröschenfalle. Der Erfolg der Doktorandin wäre also möglicherweise größer gewesen, hätte sie sich über Phase 2 Gedanken gemacht.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 10/18 Aktivieren Sie bitte den Flugmodus

„Jetzt wissen wir, was wichtig ist in unserem Leben. Lassen Sie uns nun ansehen, was unwichtig ist und uns nur ablenkt“, sage ich nach der Mittagspause in einem Zeitmanagementseminar. Schnell hat die Gruppe eine ansehnliche Liste zusammen: Perfektionismus, unnötige Nachfragen, laute Gespräche im Büro ... Unangefochtene Spitzenreiter auf allen Hitlisten: Smartphones und E-Mails. „Wie oft checken Sie diese Nachrichten?“, erkundige ich mich. „Ich werde durch einen Piepston benachrichtigt und schaue dann gleich nach”, sagt eine Teilnehmerin, während die anderen stumm nicken. 
 

Sie ist keine Ausnahme. In meinen Seminaren treffe ich oft Doktoranden, die süchtig nach ihren Smartphones sind. Sie wissen, dass sich das dauernde Piepsen der Whatsapp-Nachrichten, der E-Mails und ihre Angst, etwas zu verpassen (Fear of Missing Out(FOMO)-Syndrom), negativ auf ihre Arbeitsleistung auswirken. Es lenkt ab, raubt ihnen Energie und langweilt – trotz aller Aktivität, die es verursacht. Manche Nutzer sind kurz vor dem Burnout und sehnen sich nach der digitalen Entziehungskur, wissen aber schlicht nicht, wie sie das bewerkstelligen sollten. 
 

Ich zeige ihnen Beispiele von Hirnschäden durch Social Media und vergleiche ihr Verhalten mit klassischer Konditionierung wie bei den Pawlowschen Hunden. Manchen hilft dieser Vergleich, um zu erkennen, wie unsinnig ihr Verhalten ist, aber nicht allen. „Stellen Sie Ihr Smartphone lautlos“, schlage ich dann vor, doch für viele ist selbst dieser Schritt undenkbar. „Ich mache meine Verabredungen zum Mittagessen über Whatsapp, die anderen erwarten, dass ich sofort antworte“, entrüstet sich eine Teilnehmerin. „Das sind ja nette Kollegen“, sage ich ironisch. Sie entgegnet: „Wieso denn? Ich erwarte dasselbe, wenn ich etwas schreibe.“
 

Viele Chefs sind nicht viel anders als die Mitarbeiter, lediglich das Medium wechselt von Whatsapp zu E-Mail. „Richten Sie sich doch eine feste Zeit ein, zu der Sie täglich Ihre E-Mails bearbeiten,“ schlage ich vor, „den Rest der Zeit schalten Sie Ihr E-Mailprogramm ab. Dann haben Sie viel mehr konzentrierte Zeit.“ Das sei unmöglich, entfährt es einer Teilnehmerin, ihr Chef kommuniziere über E-Mail, und in dringenden Fällen müsse sie umgehend antworten. „Wie oft geschieht das?“, will ich wissen. „Vielleicht alle zwei Wochen, doch dann ist es wirklich dringend.“ „Dann muss er halt anrufen.“
 

Jede Unterbrechung lenkt von der Arbeit ab. Als Chefin würde ich mir überlegen, Social Media am Arbeitsplatz teilweise zu verbieten, und etwa ein paar Flugmodusstunden einführen. Sie könnten diese ja werbewirksam #prohibited-Stunden nennen. Gehen Sie dann aber mit gutem Vorbild voran und verschicken keine E-Mails zu unchristlichen Zeiten oder monologisieren unangekündigt im Labor. Irgendwann haben wir es geschafft, Alkohol und Zigaretten aus den Laboren zu verbannen. Vielleicht wird es Zeit, Smartphones folgen zu lassen.


Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 06/18 "Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?"

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.” Wenden Sie das Helmut Schmidt‘sche Diktum auf die eigene Karriereplanung an, oder folgen Sie eher den typischen Ratschlägen von Personalberatern und entwickeln für die eigene Karriere eine große Vision? Ist es ein Muss oder zumindest ein Pluspunkt, wenn auf die Standardfrage „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ die Antwort wie aus der Pistole geschossen kommt?

Dies diskutierte ich mit einem Studienfreund, der von seinem letzten Vorstellungsgespräch frustriert war. „Die Personalerin fragte natürlich, wo ich gerne in fünf Jahren sein möchte. Völliger Unsinn, das weiß doch niemand. Ich habe ihr gesagt, dass ich mir das bewusst offen halten möchte, damit ich nicht zu unflexibel bin, wenn sich Chancen ergeben. Ich konnte an ihrem Gesicht ablesen, dass die Antwort nicht gut war.“

Es ist sicherlich eine subjektive Frage, wie viel Visionen Sie für Ihre Karriereplanung entwickeln. Hier einige Gedanken jenseits der Personaler-Orthodoxie:

Tim Minchin, australischer Redner und Komödiant, ruft uns auf, „Mikro-Ambitionen“ auszuleben, uns voll und ganz auf das einzulassen, was sich vor unserer Nase abspielt. Er warnt davor, dass die ganz großen Träume die kleinen, glänzenden Schätze in unseren Augenwinkeln verdrängen. Der US-amerikanische Psychologe John Krumboltz verwendet den Begriff „Planned Happenstance“. Er umschreibt damit eine Geisteshaltung, bei der wir das Unvorhergesehene des Lebens positiv erwarten sollen. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit für Zufallsbegegnungen. Ein rigider Karriereplan steht dieser Strategie entgegen.

Wenn Sie also dazu neigen, in den Tag hineinzuleben, fragen Sie sich doch einfach nach ihrer Motivation: Schimmert Angst und Scheu vor Entschlüssen durch, dann sollten Sie Ihre Vorgehensweise überdenken. Umarmen Sie dagegen ganz bewusst das Unbekannte, dann kennen Sie nun den Fachbegriff dafür und müssen sich nicht mehr rechtfertigen.

Planung ist allerdings keineswegs sinnlos. Konkrete Ziele oder auch weitläufige Visionen können Motivation und Fokussierung erhöhen. Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg beschreibt Ihre Herangehensweise so, dass sie durchaus Fernziele habe, diese allerdings nicht starr verfolge. Sie will wissen, wie sie die nächsten 18 Monate schafft und lässt die längerfristigen Ziele auf sich zukommen.

Wie fest oder lose Sie Ihre eigene Karriereplanung angehen, sollte zu Ihnen passen, und nicht zu althergebrachten Dogmen. Schließlich müssen Sie mit Ihren Entscheidungen leben. Nur Sie wissen, ob Sie Langeweile oder Unsicherheit mehr schmerzt und wie wichtig Ihnen Aufregung oder Stabilität sind. Setzen Sie also Ziele, und halten Sie die Augen für Unvorhergesehenes auf, so wie es zu Ihnen passt. 

 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers 

Heft 03/18 Auf den Füßen landen

„Ich stecke seit fünf Jahren in Postdocs fest, nie mehr als Einjahresverträge. Ich bin es satt und will jetzt endlich eine sichere Stelle haben, ich will endlich mein Leben zumindest ein bisschen planen können.“ Die Seminarteilnehmerin wirkt dabei nicht einmal wütend, eher erschöpft. Ich kann ihre Gefühle nachvollziehen. Sie hatte immer alles gegeben, immer auf die wohlgemeinten Ratschläge gehört und fühlt sich nun in einer Sackgasse. 

Gleichzeitig schießt mir die Erinnerung an ein Gespräch mit einem Professor ins Gedächtnis, der mit Mitte 40 aus freien Stücken seine unbefristete und gut bezahlte Position als Abteilungsleiter in der Pharmaindustrie an den Nagel gehängt hatte, um seine eigene Arbeitsgruppe an der Uni aufzubauen. Ich fragte ihn, ob er nicht Angst vor dem hätte, was nach dem Ende seiner Vertragslaufzeit käme. Ohne Überheblichkeit, sondern mit nüchterner Gewissheit, antwortete er: „Ich habe mir nie Gedanken über Sicherheit gemacht. Ich hatte stets das Gefühl, jederzeit eine andere Stelle bekommen zu können.“ 

Wir alle möchten selbstbestimmt arbeiten, ohne zwischen Arbeitslosigkeit und prekären Anstellungen zu taumeln. Das Motto des Professors war aber ein anderes als „Sicherheit“, wichtig für ihn war Employability. Während sich Sicherheit in Beamtenstatus und Vertragslaufzeiten bemisst, ließ er sich von der Frage leiten: „Werde ich auf den Füßen landen, wenn mal was schiefgeht?“ Das klingt für mich weniger nach Kontrollzwang und Angst, sondern vorwärtsgewandt. 

In den Seminaren fragen die Absolventen oft, was denn die sichersten Stellen in der Privatwirtschaft seien. „Familiengeführter Mittelständler, Weltmarktführer in einem zukunftsfähigen Nischenmarkt.“ Ich möchte kein Spielverderber sein, doch schiebe ich ein paar Gedanken nach: „Gut möglich, dass Sie bei so einem Arbeitgeber entgegen den Trend der Zeit bis zum Renteneintritt arbeiten können. Doch wollen Sie das? Was, wenn der Patriarch neunzig Jahre alt ist und mit seinen grandiosen, aber veralteten Ideen den ganzen Betrieb lähmt? Was, wenn es Ihnen schlicht langweilig wird?“ 

Die Seminarteilnehmerin in der vermeintlichen Postdoc-Sackgasse fragte ich, ob Sicherheit ihr Hauptantrieb sei. Generell rate ich, sich lieber darauf zu fokussieren, was beruflich erfüllt. Wenn Sie es dann nicht versäumen, sich weiterzuentwickeln, können Sie darauf vertrauen, dass Sie in einer misslichen Lage auf den Füßen landen werden.

Heft 01/18 Wie ich ein Gespräch beende: die Exit-Strategie

Ich klingele an der Tür eines alten Schulfreunds. Als er öffnet, hält er ein Telefon vor seinem Bauch, nicht an seinem Ohr. Lautlos bedeutet er mir, reinzukommen und macht eine entschuldigende Geste, weil er mir noch nicht seine volle Aufmerksamkeit schenken kann. Nach einigen Minuten Telefonat, in denen er nur „Hm“-Laute in den Hörer brummt, während er einen Kaffee kocht, bricht er das Gespräch jäh mit den Worten ab: „Cool, Jürgen, dass wir uns mal wieder gesprochen haben. Wir sehen uns ja dann in zwei Wochen. Ciao.“

„Das war ein seltsames Gespräch.“ sage ich. „Jaja, der Jürgen, redet wie ein Wasserfall und bekommt dabei gar nicht mit, ob ihm jemand zuhört. Aber man wird ihn auch nicht los. Einmal habe ich sogar den Hörer weggelegt und mich geduscht.“
Was uns im Privatleben vielleicht noch ein Schmunzeln abringt, kann sich bei der Arbeit zu einem Zeitfresser ausweiten. Da verquasseln wir schnell eine wertvolle Kaffeepause bei einer Konferenz.

Vielen von uns fällt es schwer, eine Unterhaltung zu beginnen, doch eine abzubrechen, ist manchmal nicht weniger schwierig, wird aber weit weniger diskutiert: Wie können Sie sich aus solchen verbalen Umklammerungen befreien, ohne unhöflich zu wirken oder auf faule Ausreden zurückzugreifen?

Führen Sie sich Ihre Exit-Strategie vor Augen. Bei Telefonaten ist es typischerweise ein sinnvoll platziertes und intoniertes „so“, das verstehen die meisten Gesprächspartner hierzulande als Zeichen für das Ende.

Während einer Tagung funktioniert vielleicht das Visitenkartentauschen. Hatten Sie eine interessante Unterhaltung, möchten sich nun aber weiter umschauen, oder Ihnen sind schlicht die Themen ausgegangen, dann gibt es keinen Grund, in dieser Situation zu verharren. Sagen Sie einfach: „Vielen Dank, es war sehr schön, dass wir miteinander sprechen konnten. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“ Sie können diesen Moment zum Austausch der Visitenkarten nutzen – um in Kontakt zu bleiben, aber auch, um das Signal zum Aufbruch zu unterstreichen. Machen Sie Versprechungen nur dann, wenn Sie diese auch wirklich einhalten werden. Und ignorieren Sie den unsinnigen Drang, Ausreden ins Feld zu führen. Die Anzahl der Toilettenpausen, die Sie auf einer Konferenz vorschieben können, ist begrenzt.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers 

Heft 12/17 Das Urteil ist gesprochen

Ich frage im Seminar nach einer Freiwilligen für ein „ehrliches Vorstellungsgespräch“. Mit dem vielbeschäftigten Habitus eines Geschäftsführers schüttle ich ihre Hand. „Schön, dass ich Sie heute kennenlernen kann, Frau Müller. Ihre Reisekosten können Sie bei der Personalabteilung einreichen. Sie werden innerhalb der nächsten zwei Wochen von uns hören. Auf Wiedersehen.“ Abgang Geschäftsführer. Unsicheres Lachen im Seminarraum, verwirrte Blicke.

„Abgesehen davon, dass es die Bewerberin irritiert, wäre das Interview nicht schlechter als die meisten. Der erste Eindruck zählt, und da sind wir Naturwissenschaftler genau wie alle anderen Leute.“ Ich fasse eine Studie zusammen, in der Interviewer zu fast demselben Urteil über Bewerber kamen wie Testpersonen, die lediglich die ersten zwei Sekunden des Interviews auf Video gesehen hatten. Was nach diesen ersten zwei Sekunden geschieht, scheint also kaum einen Einfluss auf den Ausgang des Gesprächs zu haben. Unser Gehirn sucht nach Bestätigung des vorschnellen ersten Urteils, und dieses fällen Menschen auf einer sehr dünnen Basis. Vielleicht erinnert die Bewerberin den Gesprächspartner an dessen Schwester, vielleicht ist ihr Auftreten wirklich umwerfend, oder sie entspricht einfach dem, was sich der Gesprächspartner unter einer Produktionsleiterin vorstellt.

Für Sie als Bewerber können wir daraus nur lernen, dass der erste Eindruck passen muss. Freundliches Auftreten, gepflegtes Äußeres – mehr können Sie in diesen entscheidenden Sekunden nicht beeinflussen. Im Bewerbungsverfahren müssen Sie eben nicht nur in Ihrem Fachgebiet fit sein, sondern auch intuitiv ein Stück Alltagspsychologie beherrschen.

Auch Sie selbst sind nicht frei von Vorurteilen, kein Mensch ist das. Doch können wir dagegen ankämpfen, unser Urteilsvermögen davon trüben zu lassen. Nehmen wir das Vorstellungsgespräch als Beispiel: Wenn Sie – als Bewerbungsempfänger – dabei nur ein Schwätzchen halten, dann ist das vielleicht ganz nett, aber keine Datenerhebung. Ein wenigstens in Teilen strukturiertes Interview dagegen hilft, den Blick auf die Fakten zu richten.

Im Arbeitsleben müssen wir oft objektive Urteile fällen. Wir sollten uns darum bemühen, unsere Arbeit so zu gestalten, dass die Menge unserer kleinen und großen Vorurteile nicht das Ergebnis bestimmt.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers 

Heft 09/17 Konferenz für Gewinner

In einem Seminar besprechen wir das Netzwerken auf Konferenzen. „Hat sich die Investition ausgezahlt?“, frage ich. „Wie meinen Sie das?“ „Na, Sie mussten nach Finnland fliegen, hatten Hotelübernachtungen, konnten in der Zeit nicht am Institut arbeiten, und die Konferenz kostet.“ „Das kann man doch nicht in Zahlen gießen.“ Das ist zwar nicht einfach, aber deshalb nicht sinnlos: Stellen Sie sich vor, Sie wären Teamleiter in der Privatwirtschaft. Und all die Kosten laufen bei Ihnen auf, nicht verteilt auf Reisekostenzuschuss, Stipendium und die Arbeitsgruppe. Sie würden sich dann fragen: Waren all diese Kosten gut investiert? Würden Sie das nochmal so machen?

Eine Konferenz kann überwältigend sein: Hunderte Wissenschaftler, viele weltbekannt, wuseln durch Veranstaltungen, tauschen sich aus, präsentieren. Der typische Reflex für einen Konferenzneuling ist, sich zurückzuziehen, die Kaffeepausen mit den Kollegen von der Heimatuni zu verbringen und brav beim Poster zu stehen in der Hoffnung, dass keine kritischen Fragen kommen. So verständlich dieses Verhalten ist, so groß sind die Chancen, die Sie verpassen. Fragen Sie sich selbst: Haben Sie das Programm vor Ihrem letzten Tagungsbesuch auch durch die Netzwerkbrille gelesen? Haben Sie sich um Feedback zu Ihrer Arbeit bemüht? Haben Sie sich getraut, Fragen zu stellen? Haben Sie Zeit außerhalb des Schutzcocons Ihrer Kollegen verbracht? Haben Sie neue Kontakte nach der Konferenz aufrecht erhalten und den Artikel verschickt, von dem Sie erzählt haben? Wie häufig bei diesem Thema kommt der Einwurf: „Ich bin nun mal recht introvertiert, da fühle ich mich in solchen Situationen unwohl.“

In der Tat hören sich viele Netzwerktipps an, als wären sie für eine Welt von Extrovertierten erdacht. Aber Introvertierte sind auf Konferenzen keine schlechteren Netzwerker. Ersetzen Sie doch einfach Quantität durch Qualität und suchen nach wenigen, aber bedeutungsvollen Kontakten. In einer Welt voller Selbstdarsteller können Sie auf Ihre Qualitäten als Zuhörer und Fragensteller setzen.

„Ich war mit zwei Kolleginnen auf einer Konferenz“, meldet sich eine Teilnehmerin, „Wir trafen uns zu vereinbarten Zeiten, um Erfahrungen auszutauschen und uns zu erholen. Den Rest der Zeit hatten wir einen Wettbewerb, wer die interessantesten Kontakte macht.“ „Und, wer hat gewonnen?“ frage ich. Ihre Antwort: „Na wir alle.“ BB

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers 

Heft 05/17 Der Aufhebungsvertrag

Gespräch mit einer promovierten Chemikerin, der ihr Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag vorlegte: „Ich ging guter Dinge ins Personalgespräch, weil ich dachte, dass ich nun endlich die Abteilung wechseln darf. Darum hatte ich gebeten.“ Sie traf völlig unvorbereitet, dass es dem Arbeitgeber um mehr ging: Er wollte sie loswerden. Sie wäre nicht nur für die Abteilung, sondern für die ganze Firma nicht mehr erste Wahl, hieß es.

Ein Aufhebungsvertrag liest sich erst mal gut. Oft wird man sofort von der Arbeit freigestellt und erhält noch einige Monatsgehälter, ohne dafür arbeiten zu müssen. Es gibt allerdings Fallstricke. „Der Anwalt, den ich gleich zu Rate zog, warnte mich. Einen Aufhebungsvertrag anzunehmen heißt, dass ich als Arbeitnehmer kündige.“ Damit erhält der Betroffene für die ersten Monate kein Arbeitslosgengeld, die Abfindung gilt als Gehalt, ist also zu versteuern, und die Krankenversicherung muss man vollständig selbst tragen.

In den meisten Fällen ist es für einen Arbeitnehmer günstiger, wenn ihm gekündigt wird. Es ist jedoch für einen Arbeitgeber nicht leicht, einen Arbeitnehmer loszuwerden, der einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat. „Mitarbeiter müssen das tun, was sie sollen, und zwar so gut, wie sie können“ ist ein Bonmot unter Arbeitsrechtlern. Deshalb bieten Arbeitgeber meist einen Aufhebungsvertrag an, üben mehr oder minder sanften Druck aus zu unterzeichnen und versuchen, sich dann falls nötig über die Bedingungen für eine Kündigung zu einigen. Gelegentlich versüßen Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag mit einem Arbeitszeugnis mit Spitzennoten, doch davon sollten Arbeitgeber wie Arbeitnehmer Abstand nehmen. Für Arbeitgeber ist es gefährlich, unverfroren zu lügen, der nächste Arbeitgeber des gekündigten Mitarbeiters kann dagegen klagen. Und für den Empfänger des Aufhebungsvertrags sollte klar sein, dass ein 1,0-Arbeitszeugnis beim Leser Alarmglocken schrillen lässt und dieser sich fragt: „War der wirklich so gut, oder war das Teil eines Aufhebungsvertrags?“

Ich fragte nach, wie es bei meiner Gesprächspartnerin verlief: „Man hat Sie für drei Tage freigestellt, damit Sie mit einem Anwalt reden können. Das klingt doch fair?“ „Einerseits schon, doch wurde mir auch unmissverständlich mitgeteilt, dass ich keine Zukunft in der Firma hätte. Aber ich will noch was erreichen und nicht mein Arbeitsleben aussitzen. Außerdem kann ich mit negativem Druck nicht gut umgehen.“ Sie unterschrieb, bekam eine Abfindung, hatte aber bereits vor Ende der Kündigungsfrist eine neue Stelle.
Ein Aufhebungsvertrag ist kein goldener Handschlag, auch kein silberner. Es ist der Beginn eines komplexen Prozesses und eines Weges, den Sie nicht alleine gehen sollten. Erste Anlaufstelle ist der Betriebsrat, und ein Fachanwalt sollte Ihre Kommunikation mit dem Arbeitgeber steuern. Für die psychischen Belastungen und Ihren Frust sind Freunde und Verwandte zuständig, nicht aber Kollegen und Vorgesetzte.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 04/17 Strategisches Netzwerken

Wir Naturwissenschaftler setzen Netzwerken gerne mit Vetternwirtschaft gleich. Klar, wer will schon zehn Jahre an der Uni buckeln, um dann vom Freund des Vaters in den ersten Job gelobt zu werden? Und „strategisches Netzwerken“ klingt so, als wolle man alle Freunde und Bekannten für eigene Zwecke einspannen. Aber ist das auch wirklich so? Oder verweigern wir hier nur einen Schritt heraus aus unserer Komfortzone, um uns selbstzufrieden in der eigenen Schein-Integrität zu sonnen?

Coachinggespräch mit einem Postdoktoranden, der den Sprung in die Industrie schaffen möchte. Die Promotionsstelle hat er durch die Empfehlung des Betreuers seiner Masterarbeit erhalten, für den Postdoc erhielt er einen Tipp von einer alten Bekannten. „Sie sind ja ein toller Netzwerker,“ stelle ich fest. Er: „Ach, eigentlich nicht, das waren beides Zufälle.“ „Tun Sie aktiv etwas für Ihr Netzwerk?“ „Nein, eigentlich gar nichts.“ Und so war es auch, selbst als ich tiefer bohrte: keine Meetings, Alumni-Treffen, Messen oder Konferenzen waren auf dem Programm, außer er wurde explizit von seinen Professoren geschickt. „Sie waren in beiden Fällen mit Ihrem Netzwerk sehr erfolgreich auf Stellensuche,“ wende ich ein, „das sollte bei Ihrer dritten Stelle eine Rolle bei Ihrer Strategie spielen.“

Für uns geradlinig denkende Naturwissenschaftler ist die Jobsuche oft ein linearer Prozess: interessante Arbeitgeber und Stellenanzeigen identifizieren, bewerben und dann auf Erfolg hoffen. Auf diese Art und Weise werden allerdings nur relativ wenige Stellen vergeben. Netzwerken spielt bei fast allen Bemühungen eine Rolle, oftmals sogar eine zentrale.

Wie sieht gutes Netzwerken aus? Mit angemessener Breite und Tiefe Kontakte aufbauen und aufrechterhalten. Die Frage, die Sie dabei im Hinterkopf behalten sollten: „Wie kann ich Frau X, die ich gerade kennengelernt habe, unterstützen?“ Wenn Sie dann selbst ein Anliegen haben, fällt es Ihnen leichter, dieses zu äußern. Mit etwas Vorbereitung und Kreativität können Sie leicht Situationen identifizieren, bei denen beide Seiten gewinnen, und kommen so möglicherweise an schwer zugängliche Informationen heran. So könnten Sie fragen: „Sie haben bei Professor Y. promoviert? Die hat doch eine Stiftungsprofessur von Z-Pharma inne, oder?“ Und dann erwähnen Sie beispielsweise, dass Sie einen Interviewpartner für das Universitätsmagazin suchen: „Wir würden gerne darüber schreiben, wie sich das Arbeitsumfeld in Pharmakonzernen verändert hat. Kennen Sie jemanden aus Ihrer ehemaligen Arbeitsgruppe, der an einem solchen Gespräch interessiert sein könnte?“ Und schon haben Sie eine Quelle für Informationen aus erster Hand und können nicht nur einen Artikel schreiben, sondern auch eine zielgerichtete Bewerbung für Z-Pharma verfassen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 11/16 Das Bewerbungs-Timing

Kürzlich stand in einem Leserbrief in dieser Zeitschrift, dass ein Chemiker mit gutem Netzwerk seine Bewerbungen nur „pro forma“ schreiben müsse. Ob Sie Ihre Bewerbungen nun pro forma oder ernsthaft schreiben, in jedem Fall stellt sich die Frage: Wann sollte ein Chemiker mit dem Verfassen von Bewerbungen beginnen?

Bei größeren Firmen dauert es zwischen dem Abschicken der Bewerbung und dem ersten Arbeitstag meist mehrere Monate. Bei kleineren Firmen, bei denen Sie oft nur eine einzige Interviewrunde direkt mit der Geschäftsführung absolvieren, kann es mitunter schneller gehen. Wenn dem Arbeitgeber die Zeit davonläuft, etwa wenn die Vorgängerin die Firma verlässt, kann Ihr Einstieg nicht schnell genug sein.

Kann man sich zu früh bewerben? Manche Absolventen haben scheinbar den Luxus, dass sie schon ein Angebot in der Tasche haben, bevor sie die letzte Prüfung abgelegt haben. In vielen Fällen können Sie ohne Doktortitel einsteigen, wiegen sich bald in der trügerischen Gewissheit, dass es ohne geht und verzichten ganz darauf. Vielleicht legt der Arbeitgeber aber doch Wert auf den Titel, und drei Beförderungsrunden später bemerken Sie, dass Sie immer in der zweiten Reihe stehen. Wenn Sie sich dann bei einem anderen Arbeitgeber bewerben, wird es Ihnen schwer fallen, die Beinahe-Promotion zu erklären. Und auch die Prüfung selbst wird dann zu einer Hürde, da Sie nach einiger Zeit thematisch wie auch vom persönlichen Kontakt her an Ihrer Alma Mater keinen Heimvorteil mehr haben.

Wählen Sie das Timing daher so, dass Sie bei einem schnellen Angebot positiven Druck für den Abschluss Ihrer Promotion erfahren, aber nicht Gefahr laufen, die Prüfung um Jahre zu verschieben. Beginnen Sie mit dem Bewerben bei größeren Arbeitgebern sechs bis neun Monate, bei den Kleineren drei bis sechs Monate vor dem gewünschten Arbeitsbeginn.

Wann bewerben Sie sich zu spät? Genau dann, wenn Sie länger arbeitslos sind, als es Ihnen recht ist, oder wenn Sie einen Bequemlichkeits-Postdoc beginnen.
Gegen Ende der Promotion haben Sie nicht genug Zeit für Bewerbungen? Dann sehen Sie die Situation verkehrt. Auch wenn Ihr Betreuer drängelt, müssen Sie Raum für Bewerbungen schaffen: Wenn Sie Ihre Prüfung dadurch später ablegen, ist das für Sie besser, als wenn Sie in dieser Zeit arbeitslos sind.

Nutzen Sie die Angebote an Unis, von Firmen, bei Jobmessen, um an Ihren Bewerbungsunterlagen zu feilen. Bewerben Sie sich für Summer Schools und Workshops bei größeren Firmen – im Erfolgsfall haben Sie dadurch neben all den anderen Vorteilen noch die sichere Rückmeldung, dass Ihre Bewerbungsunterlagen einem Auswahlverfahren standhalten.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 9/16 Lebensalter oder akademisches Alter

In meinem Büro finde ich die Bewerbungsunterlagen einer Akademikerin Anfang 40. Das Bewerbungspaket fühlt sich schwer an, 22 Seiten. Als ich lese, dass es eine „Bewerbung auf eine W3-Professur“ ist, weiß ich warum. Zum Glück gibt es ein Inhaltsverzeichnis, so sehe ich auf den ersten Blick, was auf mich zukommt. Seit zwei Jahren bewirbt sie sich erfolglos auf Professuren und Gruppenleiterpositionen. Als Beispiel dient die mitgeschickte Ausschreibung zu einer Position, bei der sie nicht einmal für ein Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, obwohl sie ihrer Meinung nach die perfekte Kandidatin gewesen wäre.

Ich gehe sofort zu Punkt 7, der Publikationsliste – in der Wissenschaft nach wie vor das wichtigste Kriterium. 13 Artikel, davon 8 Erstautorenschaften. Die ganz großen Journale wie Nature oder Science sind nicht dabei, aber sie hat in durchaus angesehenen Zeitschriften veröffentlicht. Ich blättere zurück zu „Ausbildung und akademische Laufbahn“: Ihre Promotion hat sie im Jahr 2000 angefangen. 13 Publikationen in 16 Jahren, das ist für eine W3-Professur wahrscheinlich zu dünn, denke ich mir, vielleicht sogar der Grund, dass ihre Bewerbung aussortiert wird. Dann fange ich an, mich durch das Dokument zu arbeiten. Auf Seite 5 stoße ich auf „Mutterschutzfristen und Elternzeiten“. Zehn Monate war sie für ihre beiden Kinder jeweils in Mutterschaftsurlaub. Kleingedruckt finde ich eine Fußnote: „Seit 2007 arbeite ich in Teilzeit (67,5%)“. Ich rechne nach: 16 Jahre minus 20 Monate minus 32,5%. Ihr akademisches Alter ist demnach nicht 16, sondern erst 11 Jahre. Damit klingt die Zahl von 13 Publikationen ganz anders. Aber welcher Arbeitgeber macht sich die Mühe, das nachzurechnen und diese Informationen mühsam aus ellenlangen Dokumenten zusammenzusuchen? Ich lese weiter und bleibe bei „Drittmittel“ hängen. Auch hier: Für zwölf Jahre seit Ende der Promotion ist es recht wenig, legt man sieben akademische Jahre zugrunde, ist es respektabel.

Ich kommentiere ihren Lebenslauf: „In Ihrem Fall sollten Sie Ihren akademischen Output pro akademischem Jahr auf der ersten Seite des Dokuments erwähnen und auch gut sichtbar zur Publikationsliste schreiben. Darüber hinaus müssen Sie erwähnen, ob Sie als Professorin in Vollzeit oder Teilzeit arbeiten möchten. Diese Information möchte Ihr zukünftiger Arbeitgeber unbedingt wissen, doch kann ich sie leider nirgendwo finden.“

Die großen Wissenschaftsorganisationen haben sich vorgenommen, das akademische Alter (also die Jahre aktiver Forschung) und nicht das biologische Alter (also die Lebensjahre) als Bewertungsgrundlage für wissenschaftliche Exzellenz heranzuziehen. Das soll dabei helfen, Brüche in der Vita, wie Erziehungszeiten, auszugleichen. Das ist eine gewichtige Änderung der Regeln. Doch sollten Bewerber die Berufungskommissionen nicht nach solchen Tatsachen suchen lassen. Man sollte sie ihnen direkt unter die Nase halten. Das ist nicht aufdringlich, sondern für beide Seiten hilfreich.

Karin Bodewitz, k.bodewits@naturalscience.careers

 

Heft 07/08/16 Schwangerschaft: Don‘t ask. Don‘t tell.

Ich hatte eine junge Dame im Coaching, die gerade ihre Masterarbeit eingereicht hatte, als sie schwanger wurde. Eine Anstellung hatte sie noch nicht, aber ihr Lebenslauf war beeindruckend. Zudem war sie hoch motiviert und verfügte über die Infrastruktur, um Mutterschaft und Karriere zu vereinbaren. „Ein Jahr daheim? Nein, das wäre nichts für mich“, sagte sie bestimmt, „ich möchte und kann direkt nach dem Mutterschutz wieder einsteigen.“ Sie wusste, dass sie einen Job brauchte, in den sie zurückkehren kann. Ich riet ihr, sich ganz normal zu bewerben und nicht zu früh von der Schwangerschaft zu berichten. „Der gesetzliche Rahmen erlaubt es, bis nach Unterschrift des Vertrags stillzuhalten, solange Sie die Infrastruktur haben, die Stelle auch wirklich ausfüllen zu können,“ informierte ich sie. „Ein Angebot kann Ihnen dann trotz der Schwangerschaft nicht genommen werden.“ Meine Gesprächspartnerin empfand es als angemessen, die Karten erst nach dem Gespräch, jedoch vor Unterzeichnung des Vertrags auf den Tisch zu legen.

Sie bewarb sich auf eine Stelle an einer Universität und wurde sofort eingeladen. Im Gespräch stellte der Professor einige allgemeine Fragen, bohrte aber mindestens genauso interessiert in ihrem Privatleben. Sie beschränkte ihre Antworten auf relevante Informationen für die Stelle und erwähnte ihre Schwangerschaft nicht.

Einige Tage später fand sie eine E-Mail des Professors in ihrem Postfach. „Ich freue mich, Ihnen die Stelle anbieten zu können. Wann könnten Sie denn genau anfangen?“ Sie überlegte nicht lange und griff zum Telefon: „Ich freue mich sehr über Ihr Stellenangebot, doch möchte ich erwähnen, dass ich schwanger bin. Ich habe aber ...“ „Die Stelle kann ich Ihnen so nicht mehr anbieten,“ unterbrach er und fügte noch hinzu: „Ich nehme es Ihnen aber nicht übel.“ Sie versuchte noch nachzuhaken: „Aber wir können doch nach Möglichkeiten suchen, wie wir die Arbeit gestalten?“ Worauf er antwortete: „Auf der Lehrstuhl-Website können Sie sich ja immer wieder nach neuen Stellen erkundigen.“ Damit war das Gespräch beendet.

Dem Professor fehlte es an grundlegenden Kenntnissen des Arbeitsrechts. Es ist aber gefährlich, sich als Gruppenleiter nicht mit dem Recht rund um Anstellung und Zusammenarbeit mit Mitarbeitern zu beschäftigen. Sonst kann es passieren, dass ein Gerichtstermin die wissenschaftliche Arbeit unterbricht.

Der Professor hatte Glück, denn die Bewerberin hatte andere Pläne, als sich vor Gericht zu streiten. Dort hätte sie ihre Stelle erfolgreich einklagen können, das Mutterschutzgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sind hier eindeutig. Ein gut gelaunter Chef wäre nicht im Paket enthalten gewesen.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 05/16 Die Frau mit der Knarre

Ich sitze mit zwei Freundinnen, beide Teamleiterinnen, am Küchentisch. Wir sprechen über die Bewerbungen, die sie bearbeiten. Blues schallt aus den Lautsprechern. Diese Musik habe heute Morgen eine Bewerberin meiner Freundin empfohlen. „Du hast mit ihr über Hobbys gesprochen?“ frage ich. „Immer, das ist der interessanteste Teil des Interviews“, sagt sie, „die fachliche Qualifikation sehe ich im Lebenslauf. Die Person dahinter kann ich mir bei den Hobbys anschauen.“ Das stimmt, denke ich, wende aber ein: „Ich finde es in vielen Fällen besser, die Hobbys ganz aus dem Lebenslauf zu lassen.“ Geocaching, Marmelade kochen, Marmorkuchen backen – alles schön und gut. Aber auch wenn solche Aktivitäten beim Personaler keine Bedenken wegen Verletzungsgefahr hervorrufen, sehe ich keinen Grund, sie der Welt mitzuteilen. Beide stimmen mir zu. Hobbys im Lebenslauf sind ein schwieriges Thema.

Neulich diskutierte ich mit Naturwissenschaftlern über ihre Lebensläufe. Mit einer Ausnahme hatten alle ihre Hobbys aufgeführt, und fast allen riet ich, sie rauszunehmen. Ausnahme war eine Leistungsschwimmerin, die sogar zur Nationalmannschaft gehörte. „Drin lassen. Leistungssport, Topnoten an der Uni und dann noch eine Promotion sagen viel über Ihre Persönlichkeit aus.“ Die Doktorandin, die ihre Hobbys nicht in den Lebenslauf geschrieben hatte, meldete sich zu Wort: „Ich betreibe ebenfalls Sport auf nationaler Ebene, doch habe ich mich dagegen entschieden, es im Lebenslauf zu erwähnen.“ Auf Nachfrage erzählte sie, dass sie Sportschützin sei.

Eine meiner Freundinnen am Küchentisch fragt, was ich der Teilnehmerin geraten habe. „Ich würde das Sportschießen wahrscheinlich erwähnen. Als Empfängerin der Bewerbung würde ich sie dann einladen, egal wie gut qualifiziert sie ist. Allein aus Neugier.“ „Auf jeden Fall,“ stimmt meine Freundin zu. „Ich möchte wissen, wer die Frau mit der Knarre ist.”

Ein Lebenslauf soll nicht nur zeigen, dass Sie die richtige Besetzung für die Stelle sind, sondern auch Interesse an Ihnen wecken. Was macht Sie als künftigen Kollegen interessant? Hobbys können genau das sein, was Sie aus der Menge an Bewerbern hervorstechen lässt. Sie können damit etwas Besonderes hervorheben, das sonst verborgen bliebe. Bei der Schützin etwa merkte man im persönlichen Kontakt erst auf den zweiten Blick, wie viel Entschlusskraft und Zielstrebigkeit in ihr steckten – Eigenschaften, auf die sie mit ihrem Hobby hinweisen kann. Aber es kann genauso gut mehr über Sie offenbaren, als Ihnen lieb ist.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 04/16 Eine typische Falle

Am Forschungsinstitut kündigt ein Banner den „Career day for young scientists” an, der ein paar Tage später stattfinden soll. Nachwuchswissenschaftler haben ein tolles Programm zusammengestellt: Sprecher von Pharmariesen, Biotechunternehmen, aus dem Patentrecht und einem Start-up werden dabei sein. Als eine Doktorandin aus meinem Seminar „Women and Career“ dann am späten Nachmittag berichtet, dass sie dieses Meeting organisiert hat, bin ich überrascht, dass sie erst jetzt davon erzählt. Ich hatte diesen Karrieretag bereits mehrmals während unseres Seminars erwähnt: als Paradebeispiel für eine Veranstaltung, bei der man Kontakte außerhalb der Uni aufbauen und Visitenkarten ergattern kann. Auch sei die Organisation einer solchen Veranstaltung eine tolle Gelegenheit, den eigenen Lebenslauf zu bereichern. Vielleicht hielt es die Doktorandin für nicht angebracht, zu erwähnen, dass sie selbst die Organisatorin ist. Interessiert frage ich sie, welchen der Sprecher sie ankündigen würde und ob sie diese zufällig ausgewählt oder potenzielle Arbeitgeber bevorzugt hätte. „Ich werde die Vorträge nicht moderieren, ich bin keine gute Sprecherin“ sagt sie. Ich bin überrascht. Oder vielleicht enttäuscht, weil sie auf meine Frage antwortet wie viele andere Naturwissenschaftlerinnen. „Sie werden gar keinen Vortrag anmoderieren?“ frage ich, „wer dann?“ „Ein Kollege aus meinem Labor“, antwortet sie. Ich frage nach, ob er an der Organisation beteiligt sei. Ist er nicht. „Sie haben also wirklich diesen fantastischen Karrieretag organisiert, um dann selbst am Kaffeeausschank zu stehen und Ihrem Kollegen die Lorbeeren zu überlassen?“ frage ich nach. Das ist natürlich nicht ihre Absicht. Aber genau das wird passieren. Der Mensch auf dem Podium steht im Scheinwerferlicht, er wird derjenige sein, den die Leute im Anschluss ansprechen werden.
Eine typische Falle, in die besonders Frauen immer wieder tappen. Sie denken oft – oder hoffen zumindest –, dass jemand ihre Erfolge und Fähigkeiten entdeckt, sie anerkannt und wertschätzt, ohne dass sie selbst dafür im Rampenlicht stehen oder irgendeine Form von Selbstmarketing betreiben müssen. Männer hingegen sind viel direkter darin, zu erzählen, was sie gemacht haben und wonach sie suchen.
Die Moderation muss gar nicht atemberaubend sein, sage ich der Doktorandin. Das wichtigste ist, dass sie selbst dort steht und mindestens einen Vortrag moderiert. Sie muss sich präsentieren, zeigen, was sie geleistet hat. Denn Anerkennung kommt nicht von alleine. 

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 02/16 Versteckte Schätze

Ein Chemiker will nach seiner Habilitation noch den Übergang in die Industrie schaffen. Ich hatte mit ihm ein Coaching vereinbart und soll mit ihm seine Dokumente überarbeiten und seine Bewerbungsstrategie verfeinern. „Das wird eine harte Nummer“, denke ich, als ich über seinem Lebenslauf brüte. Außer wissenschaftlicher Brillanz, die aus jeder Zeile hervorscheint, geben seine Dokumente so gar keinen Anhaltspunkt, um im Bewerbungsanschreiben eine interessante Geschichte zu bringen. Beim Punkt „Mitglied in Fachgesellschaften“ im Lebenslauf denke ich zunächst: „Kann raus“. An wen jemand Beiträge zahlt, interessiert niemanden. Doch er hat einen zweiten Lebenslauf mitgeschickt, den ich ebenfalls prüfe. Dort steht anstatt „GDCh-Mitglied“ nun „Ortsverbandsvorsitzender GDCh“, und das seit zwei Jahren. Diesen Punkt müsste der Bewerber mit Ereignissen anreichern, kommentiere ich. Entweder er hat ihn beim ersten Lebenslauf übersehen oder es ist eine Form von Tiefstapelei.
Im Gespräch über diesen Punkt kommt dann die Antwort: „Wir haben hier fast nichts zustande gebracht, es gab lediglich mal einen Vortrag von Herrn X von Firma Y, der die analytische Technik Z entwickelt hat, da kamen dann auch einige Vertreter aus anderen Firmen, nicht nur unser Ortverband.“ Diese Bescheidenheit ehrt ihn zwar, wird aber sicher zu Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt führen. Ich rate ihm, Verbandsaktivitäten im Lebenslauf anders darzustellen, etwa: „GDCh-Ortsverbandsvorsitzender, verantwortlich für A, B und C. Einführung der Vortragsreihe „Chemiker in der Industrie“ mit Sprechern wie Dr. X von Y.“ Und wichtiger noch: Der Bewerber kann dies als Aufhänger nehmen, um ein Anschreiben zu verfassen, das einen Bewerbungsempfänger in der Industrie wirklich interessiert. Wenn er sich beispielsweise bei einem der Unternehmen, die an dem Abend anwesend waren, bewerben möchte, sollte er sich gleich am Anfang auf diese Veranstaltung beziehen. Wenn er sich bei einem der Anwesenden über das Unternehmen informiert hat, dann darf er diesen vielleicht im Anschreiben erwähnen.
In fast jedem Lebenslauf sind Schätze versteckt – als Bewerber sollten Sie sie teilen: Servieren Sie dem potenziellen Arbeitgeber, was Sie von anderen Bewerbern unterscheidet und nicht, worauf Sie besonders stolz sind. Die scheinbar kleinen Erfahrungen außerhalb des Labors sind oft wichtiger als die dreizehnte analytische Technik, die Sie beherrschen und noch in das Anschreiben quetschen. 

Philipp Gramlich , p.gramlich@naturalscience.careers

zurück zur
Karrierekolumne

zurück zur Übersicht Links rund um den Arbeitsmarkt

zurück zur Hauptseite Karriere und Beruf

zuletzt geändert am: 29.02.2024 08:54 Uhr von A.Miller