Karrierekolumne

Karrierekolumne aus den "Nachrichten aus der Chemie"

Philipp Gramlich und Karin Bodewits sind Gründer von Natural Science Careers – ein Unternehmen für Karriereberatung und Soft-Skill-Seminare für Naturwissenschaftler:innen. Für die Nachrichten aus der Chemie schreiben beide über Beobachtungen aus ihrer Beratungstätigkeit.

 

Heft 09/23 Floskeln oder Einladung zum Gespräch?

„Lassen Sie uns über Small Talk sprechen.” Die Teilnehmenden des Workshops zum Thema Selbstpräsentation verziehen ihre Gesichter. „Könnten Sie Ihre Mimik in Worte umwandeln?”, frage ich in die Runde. „Tja, Ich bin nicht begeistert, dass ich mich sogar auf wissenschaftlichen Konferenzen mit seichtem Geplätscher beschäftigen muss, das auch noch entscheidend für meinen beruflichen Erfolg zu sein scheint”, beschwert sich Jens. „Sorry, es ist ja Dir selbst überlassen, ob Du bei Floskeln bleibst oder das Gespräch weiter entwickelst“, entgegnet Jenny, „ich liebe die freie Interaktion mit Unbekannten.” Irina hingegen fürchtet, sie erzähle immerzu nur Unsinn.

Wir können hier mit einigen Vorurteilen aufräumen. Erstens: Nicht alles, was eine Wissenschaftlerin sagt, muss superschlau sein. Ein „Was bringt Sie zu dieser Konferenz?” bedeutet ja nichts anderes als: „Gerne können wir uns unterhalten, müssen aber nicht.” Betrachten Sie Ihre Bemühungen um einen Gesprächsbeginn als Service für diejenigen, die sich das nicht trauen. Zweitens: Das überproportionale Gewicht des Netzwerkens in unserem Berufsleben untergräbt weder die Meritokratie noch entwertet es die langen Jahre des Studiums. Ihre wissenschaftliche Kernqualifikation ist die Grundlage für Ihre Karriere. Um zu punkten, benötigen Sie allerdings ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten.

Die Grundregeln des Small Talk sind denkbar einfach. Fangen Sie nicht negativ an. Niemand interessiert sich dafür, dass Sie Wetter, Konferenzkaffee oder die verspätete Regionalbahn nicht mögen. Gehen Sie auch nicht mit vorgeformten Annahmen ins Gespräch. „Sie sind wohl zum ersten Mal auf dieser Konferenzserie, ich habe Sie noch nie gesehen”, ist dann besonders peinlich, wenn sich herausstellt, dass Ihr Gegenüber eine der Organisatorinnen der Konferenz ist.

Gehen Sie die Sache spielerisch an und setzen Sie sich ein zufällig ausgewähltes Ziel. Versuchen Sie etwa herauszufinden, ob Ihr Gegenüber Biochemiker, Analytikerin oder Synthesechemiker ist. Ob Ihnen das gelingt, ist egal. Das Spiel zwingt sie, den ersten Schritt zu machen. Wenn Sie mit offenen Fragen ins Gespräch gehen, lassen Sie die andere Seite reden und geben dieser die Chance, das Gespräch mitzugestalten.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 07-08/23 Atme den Raum

„Ich habe schon bei Präsentationen einen Mordsbammel”, gesteht Simon. „Bei Vorstellungsgesprächen sitze ich ja noch mehr auf dem Präsentierteller. Am schlimmsten finde ich den Small Talk zu Beginn”, fasst er seine Ängste zusammen. 

In der Tat wirken die vermeintlich lockeren Teile eines Vorstellungsgesprächs auf manche beängstigend. Zum Glück können wir diesem Lampenfieber begegnen. „Gut, dann probieren wir doch erstmal die einfachere Situation, die Präsentation“, schlage ich vor. „Kommen Sie bitte vor die Gruppe und zeigen uns den Beginn Ihrer letzten Präsentation.” Simon beginnt sofort zu sprechen, als er sich von seinem Stuhl erhebt: „Thanks for inviting me to this conference. My talk is about …” 

Wie Simon geht es den meisten Leuten in Situationen, die sie nervös machen. Die Vortragenden wollen es schnell hinter sich bringen und beginnen deswegen zu früh zu sprechen. Bei einer Präsentation erzeugen sie dadurch einen hektischen Beginn – für sich und für das Publikum. Die Vortragenden sind außer Atem, wenn es losgeht, und müssen mehrere Dinge gleichzeitig bewerkstelligen: einen guten Sprechplatz finden, mit der Technik klarkommen und Kontakt zum Publikum herstellen. Die Zuhörerschaft verwirrt solch ein Beginn: Ist das nun schon Teil der Präsentation? 

Im Workshop üben wir diese ersten Sekunden einer Präsentation. Die Bühne betreten, einen Platz finden, im Raum umherschauen. An diesem Punkt halten wir noch einen Moment inne, atmen ein, erfreuen uns an den freundlichen Gesichtern und beginnen erst dann zu sprechen, wenn wir und das Publikum bereit sind. Das Lampenfieber verfliegt dann oft, wenn der Beginn des Vortrags gut eingeübt ist. 

Bei einem Small Talk vor einem Vorstellungsgespräch fühlen wir ebenfalls eine gewisse Hetze, wollen schnell etwas Relevantes sagen und verhaspeln uns. Natürlich bleiben Sie nicht wie in unserer Übung sekundenlang wortlos vor Ihrem Gegenüber stehen, doch Zeit für einen Atemzug sollten Sie sich nehmen. 

„Denken Sie bitte nicht, dass Sie gleich beim Small Talk bahnbrechende Erkenntnisse teilen müssten”, schließe ich die Diskussion. Ein Small Talk ist eine Aufwärmübung für beide Seiten. Ein: „Vielen Dank, die Anreise war angenehm” mit einem entspannten Lächeln reicht. Wenn Ihnen dann noch etwas Nettes einfällt, umso besser. 

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 06/23 Fragen der Zusammenarbeit

In einem Workshop für angehende Gruppenleitungen behandeln wir das Thema Drittmittel. Kooperationen mit der Industrie haben in der Chemie eine lange Geschichte und gelten in Deutschland kaum als anrüchig. Wenn die Forschungsfreiheit nicht zu sehr eingeschränkt wird, werten die meisten Auswahlkommissionen Industriegelder wie andere Drittmittel. 

„Ich verhandel gerade mit einer Firma über eine Kooperation”, berichtet Jeff. „Ich bin mir aber überhaupt nicht sicher, ob das ethisch sauber ist”, teilt er seine Sorgen. „Welche Art von Forschung möchten Sie denn mit der Industrie betreiben?”, erkundige ich mich. „Es geht um die Weiterentwicklung eines Detektors, den die Firma in ihre Geräte einbaut”, führt er aus. Nach ein paar Rückfragen aus dem Plenum ziehen wir ein beruhigendes Fazit: Wir fanden keine ethischen Probleme in Jeffs Kooperation. Im Erfolgsfall wird eine Firma Geräte mit höherer Auflösung anbieten, was Anwender:innen freuen wird. 

Gemeinsam denken wir weiter. Gibt es Forschungskooperationen, die moralisch komplexer sind als eine rein technische Entwicklung? „Rauchen”, wirft Rachel ein. Ihr Kommentar hat einen wahren Kern. In der Vergangenheit wurden Forschende gekauft, um Zweifel an der Schädlichkeit des Tabakrauchs, bestimmter Medikamente, von Zucker, DDT, Alkohol oder Opiaten zu säen. Das gibt es auch heute noch: Die Themen sind neu, die Taktiken dieselben. Der wissenschaftliche Konsens wird als zweifelhaft dargestellt, unnötige Studien verzögern Regelungen oder Verbote, die Probleme bei der Umstellung auf saubere Alternativen werden übertrieben. 

In unserer Diskussion zeichnet sich eine Linie ab: Rein technische Entwicklungen sehen die meisten als ethisch unproblematisch an. Die akademische Wissenschaftlerin als Bewertungsinstanz hingegegen wirft Fragen auf. 

Mögliche Probleme müssen also bereits vor der Zusammenarbeit angegangen werden. Kooperations- und Geheimhaltungsverträge können Wissenschaftler mit Unterstützung zusehends professionalisierter Abteilungen an den Unis prüfen: Wird ein gewünschtes Ergebnis bereits durch das Studiendesign vorgegeben? Werden die Ergebnisse selektiv verwendet, je nachdem wie die Antwort ausfällt? Und als wichtigstes: Erhält der Wissenschaftler einen Maulkorb? Wenn Sie diese Fragen im Vorfeld beantworten, sind Industriekooperationen ein interessantes Instrument, um Drittmittel zu diversifizieren.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 05/23 Die Pitch-E-Mail

In der Kaffeepause eines Workshops zum Thema Netzwerken amüsieren sich zwei Promovierende über eine E-Mail. „Dear Prof. Kohlenforschung, I would like to pursue a PhD at the institute of Schüth.” Als der Workshop weitergeht, nehme ich auf diese E-Mail Bezug: „Wenn Sie jemanden anschreiben, den Sie noch nicht kennen, wie tun Sie das, damit Sie Gehör finden?” Tim, der die restliche Kaffeepause damit verbracht hat, die E-Mail herumzuzeigen, deutet auf sein Telefon: „Auf keinen Fall so.” 

Jede E-Mail beginnt mit dem wichtigsten, weil sichtbarsten Teil, der Betreffzeile. Hierzu lautet die gängige Meinung, dass an dieser Stelle gleich der Grund der Kontaktaufnahme genannt werden sollte. Das ist in der Tat wichtig, doch stellen Sie sich vor, dass der Betreff lautet: „Postdoc in Ihrer Arbeitsgruppe.” Gut möglich, dass Sie damit eine unter vielen sind und erstmal auf dem Stapel „Lesen, wenn ich Zeit habe” landen. Falls Sie eine persönliche Verbindung herstellen können, dann sollten Sie diese in der Betreffzeile nennen, etwa: „Empfehlung von Dr. Gisdakis.” Falls der Empfänger Dr. Gisdakis kennt, wird er die E-Mail zeitnah lesen. 

In manchen Fällen wird es sich anbieten, eine Kontaktperson in CC zu nehmen, in anderen nicht. Dadurch ist Ihre Nachricht etwas persönlicher und Sie schaffen Transparenz. Allerdings sollten Sie bei mehreren Anfragen über dieselbe Kontaktperson darauf achten, dass deren Posteingang nicht vollläuft. 
Als nächstes eine höfliche Anrede. Das klingt selbstverständlich. Aber es gibt genügend Gegenbeispiele: E-Mails mit falschem oder falsch geschriebenem Namen des Empfängers. Im ersten Satz Ihrer E-Mail sollte endlich das „Warum” kommen mit ein bis zwei kurzen Sätzen. Im nächsten Satz erwähnen Sie Ihre Vorarbeit. Sehen Sie die Kürze Ihrer Einleitung sowie der gesamten E-Mail als Arbeitsprobe: Wird es ein Zeitfresser, sich mit Ihnen auseinander zu setzen, oder eine gut vorbereitete, effiziente Interaktion? Schwafler schwafeln meist in geschriebener wie in gesprochener Form. 

Schließen Sie die E-Mail, die insgesamt mit fünf Sätzen auskommt, mit Ihrem konkreten Anliegen. Auch dieser Punkt erscheint trivial, doch denken gerade Wissenschaftler:innen oft, dass ihre Leserschaft diesen Schluss selbst ziehen kann.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 04/23 Die Idealismus-Gehaltsschere

In einem Karriereworkshop besprechen wir, wie eigene Werte die Berufswahl beeinflussen. Die Frage, ob Idealismus ein Auswahlkriterium sein kann oder sogar muss, erregt die Gemüter. „Für kein Geld der Welt möchte ich an marginalen Verbesserungen von Lifestyle-Produkten arbeiten,” verkündet Rodrigo. „Na, wenn Du für eine NGO arbeitest, musst Du halt in Deiner WG wohnen bleiben,” erwidert Karsten spöttisch. „Ist das wirklich so?”, erkundigt sich Frederieke, „Je idealistischer ein Job ist, desto schlechter wird er bezahlt?“ 

Wie so oft ist die Antwort Ja und Nein. Die bestbezahlten Jobs sind da, wo viel Geld gemacht wird, etwa bei Großkonzernen. Diese Organisationen haben das Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen, bei Aktiengesellschaften ist das sogar eine Verpflichtung. Sind diese Jobs deswegen weniger idealistisch? Sicherlich nicht immer. Wenn Arbeit dort dazu beiträgt, Prozesse effektiver und damit meist auch nachhaltiger zu gestalten, kann das sehr wohl ein positiver Beitrag sein. 

Manchmal können Chemiker das Thema beeinflussen, an dem sie arbeiten. Ein Hebel ist der Fachkräftemangel, der langsam in Lebenswissenschaften und Chemie ankommt. Ihre Arbeitskraft schließt eine Lücke. Sie haben in der Hand, für welchen Arbeitgeber Sie sich entscheiden: bei X Shampoos verbessern oder bei Y auf nachhaltige Rohstoffquellen umstellen. 

Nichtregierungsorganisationen haben in der Regel weniger Geld als Konzerne und sind durch ihre Statuten daran gebunden, keine übertriebenen Gehälter zu zahlen. Das heißt aber nicht, dass alle Tätigkeiten im Non-profitBereich schlecht bezahlt sind. Gehälter in internationalen Organisationen können durchaus mit der Industrie mithalten. 

„Mit einem Abschluss in Chemie sind Sie in einer Luxussituation”, fasse ich die Diskussion zusammen. Selbst moderate Gehälter erlauben es Ihnen, aus der WG auszuziehen und eine Familie zu gründen. Sie können ohne finanzielle Not entscheiden, wo und wie Sie arbeiten möchten. Einen Unterschied bei gesellschaftlich relevanten Fragen können Sie mit Ihrer Berufswahl und Ihrem Engagement bei der Arbeit machen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
 

Heft 03/23 Tun oder reden?

„Klar ist Wissenschaftskommunikation wichtig”, sagt Teilnehmer Wolfgang in einem Karriere-Workshop. „Aber als Chemiker werde ich fürs Problemlösen bezahlt. Kommunikation übernimmt – zumindest bei einem Großkonzern – die PR-Abteilung.” 

Werden wir fürs Tun oder fürs Reden bezahlt, oder müssen wir beides können? Ist Wissenschaftskommunikation ein eigener Berufszweig für Leute, die den Problemlöser:innen diese Tätigkeit abnehmen? Oder etwas, das zum Alltag aller Wissenschaftler:innen gehört? 

In allen Berufszweigen müssen wir kommunizieren können, und das immer angepasst an die jeweilige Situation. Das gilt auch für diejenigen, bei denen das nicht explizit in der Berufsbezeichnung steht. 

Die Kommunikation mit Wissenschaftler:innen des eigenen Spezialgebiets an der Hochschule ist nur ein Teil des Ganzen: Auf speziellen Konferenzen müssen Sie ein gutes Bild abgeben. Ihre Publikationen beurteilt ein kleiner Kreis Ihrer fachlichen Nische. Bei Drittmittelanträgen ist Ihre Leserschaft bereits breiter: Sie müssen für Kolleg:innen aus anderen Fachbereichen verständlich und relevant erscheinen. Wenn Sie Kooperationen beginnen, dann meist außerhalb Ihrer Kernkompetenz. Ganz mutige Wissenschaftler:innen stellen sich der Quelle ihrer Gelder, den Steuerzahler:innen, und kommunizieren mit Laien. 

Außerhalb der Hochschule ist der Schritt aus unserer hoch spezialisierten Umgebung heraus meist abrupt. Die Fähigkeit, Ihre Arbeit vor einer Chefin zu rechtfertigen, die einen Abschluss im Finanzwesen oder als Juristin hat, fällt nicht vom Himmel, sondern Sie müssen sie sich erarbeiten. Ebenso sind die Hintergründe Ihrer Kolleg:innen und externer Kontakte wie Kunden oder Zulieferer oft breiter gestreut als an der Hochschule. 

Wir alle müssen also in unserem Berufsleben über unsere Arbeit sprechen, ob wir das wollen oder nicht. Keine PR-Abteilung nimmt uns diese Arbeit ab. Die gute Nachricht ist: Den meisten macht es Spaß, sobald sie sich darauf einlassen. Es geht ja nicht darum, etwas plump zu vereinfachen, sondern die Bedeutung unseres Themas einer bestimmten Zielgruppe verständlich zu machen. Das zu erreichen, verschafft Genugtuung. 

Sie werden in Ihrem Beruf fürs Tun und fürs Reden bezahlt. Versuchen Sie also, beides zu beherrschen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 02/23 Wer braucht schon eine Stellenanzeige?

In einem Workshop diskutieren wir, welche Wege es gibt, sich zu bewerben. Die meisten Bewerbenden wählen den klassischen Weg, die Reaktion auf eine Stellenanzeige. Gabrielle eröffnet die Diskussion: „Ich habe gehört, dass ich mich auch initiativ bewerben kann.“ „Und ich habe gehört, dass das Schwachsinn ist,” erwidert Theo wenig diplomatisch, „habt Ihr nicht Dr. Neubauer bei der Podiumsdiskussion des Karrieretags gehört? Sie hat gesagt, man solle nicht seine eigene Zeit und die des Unternehmens verschwenden.” „Für welche Firma arbeitet Dr. Neubauer?”, erkundige ich mich. „Bei einer riesigen Pharmafirma, die sollte das wissen.” 

Offene Bewerbungen können für große Firmen schwer zu handhaben sein: Wohin soll die Personalabteilung diese schicken? Bleibt das unklar, sind offene Bewerbungen meist Zeitverschwendung. Bei Mittelstand und Start-ups sieht es hingegen anders aus: Diese sind weniger sichtbar als die Großen und müssen deshalb viel weniger Bewerbungen handhaben. 

Eine offene Bewerbung zu schreiben, ist schwieriger, als auf eine Stellenanzeige zu reagieren. Ihr fehlt das Gerüst, mit dem Sie die Bewerbung strukturieren können. Sie sollten also überlegen, wie eine plausible Stellenanzeige aussehen könnte. Deren Inhalt konstruieren Sie sich aus Anzeigen für ähnliche Positionen derselben Firma oder eines Konkurrenten. Schreiben Sie Ihre Bewerbung für dieses hypothetische Szenario und erwähnen am Ende des Anschreibens, für welche Arten von Stellen Sie offen wären. Dabei sollten Sie eine plausible Breite an Positionen andeuten: Sie wollen weder als unflexibel noch als verzweifelt wahrgenommen werden. 

An Theos Stirn kann ich ablesen, dass er nach Argumenten sucht, um seine Aussage zu verteidigen. „In vielen Fällen gibt es gar keine Chance auf eine Stelle, sonst würde die doch ausgeschrieben”, wirft er ein. Mir persönlich ist es zweimal passiert, dass ich einen Hinweis bekam: Firma X will in naher Zukunft eine Stelle besetzen. In beiden Fällen bewarb ich mich, ohne dass die Stellen ausgeschrieben waren und – Überraschung – erhielt ein Angebot. 

„Ohne Netzwerk und die Tipps daraus sind offene Bewerbungen in der Tat ein hartes Pflaster”, versöhne ich die Aussagen von Gabrielle und Theo. Bei Bewerbungen auf Stellenanzeigen kann es schwierig sein, hervorzustechen. Bei Initiativbewerbungen müssen Sie herausfinden, wer sich überhaupt für Sie interessieren könnte.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 01/23 Probe und Gegenprobe

In einem Karriereworkshop besprechen wir Anschreiben. Georg hat seine Bewerbungsunterlagen mitgebracht, die wir gemeinsam analysieren. 

„Ich bin ein enthusiastischer und breit interessierter Chemiker …”, lese ich vor. „Ich würde gerne für Ihre Firma arbeiten, die bekanntermaßen führend im Bereich der responsiven Polymere ist.” Georg springt gleich in die rhetorische Pause, die ich nach den beiden Sätzen lasse. „Ich finde es sehr schwer, mich selbst zu loben, die Arbeitgeber zu loben. Ich habe das Gefühl, ich schreibe nur Allgemeinplätze.” 

Georg hat recht und ist damit nicht alleine. In den meisten Anschreiben steht ein Abschnitt, den viele Bewerbende als verpflichtendes, gegenseitiges Bauchpinseln empfinden. Das muss nicht sein. 

Selbstlob ist nicht nötig, wie in der Kolumne „Show, don‘t tell” (Nachr. Chem. 2019, 67(3), 23) beschrieben. Denken Sie eher in die Richtung: Welche Verbindung gibt es zwischen mir und dem Arbeitgeber? Was habe ich, das kein anderer hat? Und: Was bietet dieser Arbeitgeber, das andere kaum bieten? Wenn Sie diese Fragen nicht beantworten können, sollten Sie noch Zeit in Selbstanalyse und Recherche stecken. Sonst erhalten Sie im schlimmsten Fall das Angebot eines Arbeitgebers, der nicht zu Ihnen passt. 

„Aber wie kann ich wissen,“ entgegnet Georg, „dass ich wie eine Person mit authentischem Interesse an genau dem Arbeitgeber klinge?” 

Um das herauszufinden, nehmen Sie zuerst die Hauptaussagen unter die Lupe, mit denen Sie sich selbst beschreiben und machen ein Gedankenexperiment: Könnte Ihre Labornachbarin genau denselben Satz schreiben? Das ist der Fall bei Sätzen wie: „Ich habe großes Organisationstalent“. Hier nennen Sie nur ein lebloses Attribut, geben der Leserschaft aber keinen Grund, Ihnen zu glauben. Wenn Sie aber schreiben: „Bei meiner Mitwirkung beim Organisations-Team für die Online-Konferenz XYZ lernte ich, welche Fallstricke zu überwinden sind, wenn Teilnehmende aus verschiedenen Zeitzonen und Kulturen zusammenkommen.“ Ein solches Erlebnis können nur wenig andere vorweisen. 
Dann machen Sie den gleichen Test für Ihre Aussagen zum Arbeitgeber. Wenn sich beispielsweise mehrere Firmen als „führend im Bereich responsiver Polymere“ beschreiben, dann müssen Sie weiter nachforschen, was diesen Arbeitgeber einzigartig macht.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 12/22 Keine Details

Ich mache ein Interviewtraining mit einer Gruppe Postdocs, die eine Karriere außerhalb der Universität suchen. „Worum geht es in Ihrer Forschung?” frage ich Afsheen. Nach fünf Minuten unterbreche ich ihre Antwort. „Sie lassen Ihre Botschaft von Details überschatten”, sage ich. „Soweit ich das verstehe, hilft Ihre Forschung dabei, dass wir in Zukunft Autos 3-D-drucken können?” Afsheen hebt ihre Augenbrauen. „Äh, ungefähr. Aber ...“ Ich unterbreche sie wieder: „Ungefähr passt, es sei denn, es stimmt wirklich nicht. Dann müssen Sie den Satz anpassen.“ „Es ist sehr vereinfacht“, murmelt sie. 

„Einfach ist gut,” entgegne ich. „Anstatt ins Detail zu gehen, fügen Sie besser noch einen Satz dazu, warum es sinnvoll ist, Autos zu drucken. Produktionsgeschwindigkeit? Kosten? So was in der Art.“ Afsheen bleibt skeptisch. „Meine Forschung dreht sich nicht um das ganze Auto, sondern nur um die Karosserie.“ „Sie können jederzeit weiter in Ihre Forschungs hineinzoomen, wenn sich jemand dafür interessiert. Aber kein Personaler möchte, dass Sie wirklich ins Detail gehen.” 

Für Wissenschaftler:innen ist es oft schwierig, etwas einfacher zu machen, als es ist. Sie arbeiten täglich an einem winzigen Puzzleteil in einem größeren Ganzen. Obendrein sind ihre Ergebnisse – aufgrund von Ausnahmen und Rahmenbedingungen – oft sehr nuanciert und ihre Geschichten darüber daher kompliziert. Wissenschaftler:innen haben jahrelang gelernt, anderen noch die letzte Dezimalstelle zu zeigen, um als kompetent zu gelten. Und bei der Kommunikation mit anderen Wissenschaftler:innen ist es wichtig, die Details sorgfältig darzustellen. 

Aber wenn Sie mit Laien sprechen, ist es Ihre Aufgabe, schnell zum Punkt zu kommen und eine Hauptaussage so zu formulieren, dass sie für das Publikum verständlich und relevant ist. Natürlich birgt das Risiken. Manche Zuhörer:innen lieben es zu meckern, wenn etwas nicht hundertprozentig stimmt. Aber Gemurre lässt sich vermeiden, wenn Sie zum Beispiel beifügen: „im Großen und Ganzen bedeutet das …“ oder „vereinfacht gesagt, ich arbeite an …“ So beruhigen Sie den kritischen Zuhörer und haben gleichzeitig bessere Chancen auf ein gutes Gespräch.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

Heft 11/22 Der Mittelpunkt der Präsentation

Ich arbeite mit einer Gruppe Doktorand:innen daran, ihre Präsentationen für einen Kongress vorzubereiten. „Für wen genau haben Sie diesen Vortrag gehalten?”, frage ich Mathieu, der gerade seine Präsentation beendet hat. Er ballerte in 14 Minuten 38 PowerPoint-Folien durch. „Für Sie“, antwortet er. „Es ist leider nicht bei mir angekommen”, sage ich. Die Präsentation erinnerte mich an jemanden, der mir kürzlich erzählt hat, er spiele Hörbücher mit 1,5-facher Geschwindigkeit ab, um mehr Bücher in kürzerer Zeit zu hören. Mein Kommentar dazu war: Es gehe nicht um die Menge an Büchern, die man liest, sondern was man daraus mitnimmt. Mathieu war viel zu schnell und viel zu ausführlich. „Außerdem wird das Publikum sich ärgern, dass Sie Ihre Redezeit überschritten haben”, schließe ich. „Was soll ich tun?“, fragt er.

Meine Antwort: „Erhöhen Sie das Signal-zu-Rauschverhältnis.” Bei einer knappen Redezeit von zehn Minuten können Sie genau einen Hauptpunkt herausarbeiten, nicht mehr. Identifizieren Sie also, was Ihr Publikum mitnehmen soll. Sie untermauern diese Botschaft dann mit drei oder vier Folien. Nehmen Sie nur Aspekte, die diese Hauptbotschaft unterstützen. Details können Sie gegebenenfalls in der Fragerunde erörtern – falls sich jemand dafür interessiert. 

„Es ist aber wichtig, dass ich alle Daten zeige. Vielleicht kann ich schnell ein paar Folien zeigen, ohne sie zu erklären“, schlägt Mathieu vor. „Wie ein Bilderbuch ohne Text, dafür mit langweiligen Bildern?“ frage ich. Mathieu seufzt. „Und wenn ich die einleitende Geschichte kürze?“ 

Wenn das Publikum die Frage und die Relevanz Ihrer Forschung nicht versteht, wird es innerhalb der ersten Minute aussteigen. Es muss Ihnen nicht zuhören. Sie müssen Ihre Zuhörerschaft davon überzeugen. Das tun Sie, indem Sie einen eingängigen Anfang für Ihre Geschichte finden: Was trägt Ihre Forschung zu dieser Welt bei? „Wenn Sie diese Einleitung wegnehmen, dann können Sie Ihren Vortrag genauso gut vor Ihrem Badezimmerspiegel halten.“ 

Mathieu will mit seiner Präsentation beeindrucken, ignoriert aber die Wünsche des Publikums. Aber genau das Publikum steht im Mittelpunkt dieser zehn Minuten. „Denken Sie an dieses und nicht an sich selbst”, schließe ich. „Dann haben beide Seiten mehr davon.“

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 10/22 Die Reihenfolge im Lebenslauf

„Schreibe ich meine Bewerbungsunterlagen eigentlich chronologisch oder gegenchronologisch?“, erkundigt sich Valeria in einem Bewerbungsworkshop. „So wenig wie möglich“, entgegne ich, was dem Wunsch nach einer einfachen Antwort sichtlich nicht genügt. Ich schiebe nach: „Für die Teile, wo es denn sein muss, also Berufserfahrung und Ausbildung: Gegenchronologisch, also von den aktuellen Teilen zu den älteren.“ Es erscheint logisch, die gesamten Bewerbungsunterlagen gegenchronologisch aufzubauen. Dieses Verlangen nach zeitlicher Ordnung hat allerdings Nachteile. 

Im Anschreiben erzählen Bewerbende oftmals die Highlights des Lebenslaufs in Aufsatzform nach, eine einschläfernde Fleißübung für die Leserschaft. Dabei ist das Anschreiben der Text, der am freiesten formuliert werden darf. Deshalb können Sie sich darauf konzentrieren, was Sie mit dem Arbeitgeber verbindet: „Von Frau Dr. Sanchez habe ich bereits vor drei Jahren auf der Analytica erfahren, dass Ihr Unternehmen …“ Dieses Satzfragment zeigt langfristiges, nachweisliches Interesse an einem Arbeitgeber, eine persönliche Verbindung sowie gute Fähigkeiten in der Dokumentation. Auch Schwächen lassen sich dort ansprechen: „Obwohl ich die geforderten fließenden Deutschkenntnisse noch nicht besitze, habe ich bereits zwei Fremdsprachen autodidaktisch auf B2-Niveau erlernt: …“ Damit verhindern Sie, wegen eines fehlenden Kriteriums vorschnell ausgesiebt zu werden. 

Auch im Lebenslauf können Sie sich teilweise von der Chronologie lösen. Nehmen wir an, dass Sie vor fünf Jahren eine Zusatzqualifikation erworben haben, die für den Arbeitgeber wie die Faust aufs Auge passt. Das geht in chronologischen Teilen leicht unter. Einem Glanzpunkt können Sie zu Beginn des Lebenslaufs in einer Aufzählung mit drei bis fünf Spiegelstrichen zu Sichtbarkeit verhelfen. 

Im Hauptteil des Lebenslaufs können Sie Ihren Lesern und sich einen weiteren Gefallen tun: Fassen Sie Ihre Fähigkeiten in einem Abschnitt zusammen. Dadurch werden die Beschreibungen im chronologischen Teil knapper, Redundanzen entfallen. Langweilige Listen wie Posterpräsentationen oder besuchte Workshops können Sie zu Beschreibungen von Fähigkeiten kondensieren. Vorteil: Die Fähigkeiten können Sie nach Belieben anordnen und dadurch Aspekte hervorheben, die für die Bewerbungsempfänger am interessantesten sind. Diese werden es Ihnen danken – hoffentlich mit einer Einladung.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 09/22 Wo Vielfalt zu erwarten ist

Wo ist die Diversität Ihrer Kolleg:innen höher: an der Hochschule oder in einem typischen Industriebetrieb?“ frage ich in die Runde eines Karriereworkshops. Ich erkenne an den Gesichtern, dass alle die Frage zu einfach finden. Nach einer Pause erbarmt sich Xavier: „In meinem Projekt arbeite ich mit Igor, Pranoti und Ah Lam zusammen. Meine Freundin arbeitet in der Industrie mit Max, Klara und Christian im Team. Das sind die Rohdaten; wo es diverser ist, weiß ich auch nicht.“ Wenn wir es bei der geografischen Abstammung belassen, hat Xavier recht: Bis auf Start-ups aus der Uni und einigen wenigen Großkonzernen, deren Teams tatsächlich so international sind, wie das Marketing uns verspricht, bietet die Uni ein internationaleres Umfeld. Ich hake nach: „Diversität ist aber ein breiterer Begriff. Wie sieht es denn mit den anderen Aspekten aus?“ Es gibt ja noch Interdisziplinarität, Bildungsgrad oder Alter. 

Wenn Sie Ihr Forschungsprojekt an der Uni als interdisziplinär bezeichnen, dann arbeiten Sie als Chemikerin beispielsweise mit einem Biologen oder einer Physikerin zusammen. In der Industrie wird das schlagartig breiter. Stellen Sie sich die intellektuelle Herausforderung vor, wenn Sie Ihre Ergebnisse mit einer Chefin diskutieren, die einen Abschluss in Jura oder Betriebswirtschaftslehre hat. 

Vom Bildungsgrad her ist die Uni das vermutlich am wenigsten diverse Arbeitsumfeld. Die meisten Leute, mit denen Sie während Promotion und Postdoc zusammenarbeiten, haben eine Promotion oder werden diese in absehbarer Zeit haben. In der Industrie haben Sie Kontakte zu Menschen mit unterschiedlichen Bildungsgraden. Auch das fordert Ihre Fähigkeiten zu kommunizieren. 

Schließlich das Alter: Abgesehen von Ihrem Betreuer oder Ihrer Betreuerin haben Sie an der Uni vorwiegend mit Leuten um die Dreißig zu tun. Auch hier bildet die Industrie ein breiteres Spektrum ab. Der Klassiker: die Uni-Absolventin, die Mitarbeitende führen muss, die 30 Jahre Berufserfahrung haben.
Zum Schluss komme ich auf Xaviers Aussage zurück: „Es klang so, als sähen Sie das internationale Umfeld als Pluspunkt der Uni.“ Falls Sie in die Industrie wechseln, das internationale Umfeld der Uni aber nicht verlieren möchten, dann sollten Sie eine Stelle in solchen Betrieben suchen, die international arbeiten. Wenn es Ihnen allgemein um ein diverses Arbeitsumfeld mit intellektuellen Herausforderungen geht, dann könnte in der Industrie eine Schatzkiste auf Sie warten.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

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zuletzt geändert am: 08.09.2023 11:37 Uhr von A.Miller