Marthe Vogt

Marthe Louise Vogt (1903-2003): Neuroforscherin von Weltrang

Die Chemikerin und Medizinerin Marthe Louise Vogt, gebürtige Berlinerin, verließ Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. In Großbritannien fand sie ihre zweite Heimat. Hier erforschte sie die chemische Übertragung von Nervenimpulsen und erntete internationale Anerkennung für den ersten Nachweis von Neurotransmittern im Gehirn.

Marthe Louise Vogt wurde am 8. September 1903 in Berlin als erstes Kind des Ärzteehepaars Oskar und Cécile Vogt geboren. Ihre Eltern waren bedeutende Hirnforscher am neurobiologischen Laboratorium der Friedrich-Wilhelms-Universität, der jetzigen Humboldt-Universität zu Berlin. Aus dem von Oskar Vogt (1870-1959) geleiteten Labor ging später das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch hervor, das heute als Max-Planck-Institut für Hirnforschung seinen Sitz in Frankfurt am Main hat. Zehn Jahre nach der Geburt von Marthe Louise kam ihre Schwester Marguerite zur Welt. Auch sie erlangte später als Wissenschaftlerin weltweite Anerkennung. Während sich Marthe Louise Vogt in der Neuropharmakologie einen Namen machte, gilt ihre jüngere Schwester als Pionierin der Tumorvirologie. 

Marthe Louise Vogt schrieb sich 1922 nach dem Abitur für das Studium der Medizin und der Chemie mit Schwerpunkt Biochemie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität ein. Ihre akademischen Lehrer in Chemie, Wilhelm Schlenk (1879-1943) und Friedrich Adolf Paneth (1887-1958), weckten ihr Interesse, medizinische Fragen mit Hilfe der Chemie zu beantworten.

Nach Abschluss ihres Studiums und einem praktischen Jahr in einem Spital sowie im Institut ihres Vaters wurde Vogt 1928 zum Doktor der Medizin promoviert. Sie arbeitete anschließend im Arbeitskreis von Carl Neuberg (1877-1956) am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biochemie in Berlin. Nur ein Jahr und fünf Monate nach ihrer Promotion in Medizin erlangte Vogt einen zweiten Doktortitel, nun in Chemie. Für diese Dissertation hatte sie sich unter dem Titel „Untersuchungen über Bildung und Verhalten einiger biologisch wichtiger Substanzen aus der Dreikohlenstoffreihe“ mit dem Kohlenhydratstoffwechsel beschäftigt. Danach erhielt sie eine Stelle als Assistentin am Pharmakologischen Institut bei Paul Trendelenburg (1884-1931) in Berlin. Nach dessen frühem Tod arbeitete sie in der Abteilung Neurochemie im Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung, das ihr Vater gegründet hatte.

Vogt war wie ihr Vater eine Gegnerin des Nationalsozialismus. Im Jahr 1935 verließ sie Deutschland und ging mit Unterstützung eines einjährigen Rockefeller-Stipendiums an das National Institute for Medical Research in London. Dort forschte sie gemeinsam mit Henry Hallet Dale (1875-1968), der 1936 zusammen mit Otto Loewi (1873-1961) den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung und Entschlüsselung der chemischen Weiterleitung von Nervenimpulsen erhielt. Die beiden Wissenschaftler revolutionierten die Neuromedizin und beeinflussten auch Vogts wissenschaftliche Karriere.

Nach ihrem Forschungsaufenthalt bei Dale fand Vogt am Department of Pharmacology im britischen Cambridge und am College of the Pharmaceutical Society in London neue Wirkungsstätten. Im Jahr 1946 ergriff sie die Chance zum Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe unter John Henry Gaddum (1900-1965) am Department of Pharmacology der Universität Edinburgh. Als Gaddum als Direktor an das National Institute for Animal Physiology, dem heutigen Babraham Institute, in Cambridge wechselte, folgte sie ihm. Von 1960 bis 1966 leitete sie die pharmakologische Abteilung des Instituts. Sie blieb dort im Ruhestand noch so lange tätig, bis das starke Nachlassen ihrer Sehkraft sie 1990 veranlasste, zu ihrer Schwester Marguerite ins kalifornische La Jolla zu ziehen. Marthe Louise Vogt verstarb am 9. September 2003 im Alter von 100 Jahren in San Diego in den USA.

Als Neuropharmakologin leistete Vogt wichtige Beiträge zur Physiologie der Neurotransmitter Acetylcholin, Adrenalin und Noradrenalin. Ihr gelang der erste Nachweis von Neurotransmittern im Gehirn. Damit trug sie wesentlich zur Aufklärung der Funktion von muskelentspannenden Wirkstoffen und Psychopharmaka bei. Ihre Forschung half zudem, psychische Erkrankungen wie Schizophrenie besser zu verstehen. Vogts wissenschaftliche Leistungen wurden durch zahlreiche Medaillen und Ehrendoktorate gewürdigt. Im Jahr 1952, rund fünf Jahre nach ihrer Einbürgerung in Großbritannien, wurde sie zum Fellow der britischen Royal Society, der altehrwürdigen Akademie in London, gewählt. Nur wenigen Frauen war diese Auszeichnung bis dahin zuteilgeworden. 1983 erhielt Vogt als erste Frau die Ehrendoktorwürde der University of Cambridge. Auch in ihrer Geburtsstadt ist sie nicht vergessen: Seit 2001 verleiht der Forschungsverbund Berlin jährlich den Marthe-Vogt-Preis zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen.

Quellen

  • W. Cuthbert in: Marthe Louise Vogt. 8. September 1903 – 9. September 2003, Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society, Volume 51, 1. Dezember 2005
  • H. Bielka: Geschichte der Medizinisch-Biologischen Institute Berlin-Buch, Springer, Berlin, 2002
  • U. Trendelenburg: Verfolgte deutschsprachige Pharmakologen 1933-1945, Frechen, Dr. Schrör, 2006

Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.

Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns 

Redaktionelle Bearbeitung 
Dr. Uta Neubauer

Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)

Verantwortlich für den Inhalt der Biographien sind die Autoren.
Die auf diesen Seiten dargestellten Inhalte sind sorgfältig erarbeitet. Autoren, Redaktion und Herausgeber übernehmen dennoch keine Verantwortung oder Haftung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Inhalte oder für Tippfehler.

zurück zur Übersicht Chemikerinnenbiographien

zurück zu Publikationen

zuletzt geändert am: 21.01.2022 10:32 Uhr von K.J.Schmitz