Almuth Klemer

Almuth Klemer (1924-2022): Die Zuckerchemikerin

Almuth Klemer war die erste Frau, die sich an der Universität Münster im Fach Chemie habilitierte. Dankbar für ihre erfolgreiche Hochschulkarriere richtete sie im hohen Alter eine Stiftung ein, die Chemiestudierende und bedürftige Schulkinder unterstützt. 

Almuth Klemer wurde am 12. Februar 1924 in der niedersächsischen Kleinstadt Bassum geboren. Schon als Mädchen interessierte sie sich für die Naturwissenschaften – eine Neigung, die ihre Eltern förderten. Das Abitur bestand Klemer im Februar 1942. Zwei Monate später musste sie aber für ein Jahr in den Arbeitsdienst. Erst danach konnte sie ihr Chemiestudium an der Justus-Liebig-Universität Gießen beginnen. 

An einen geordneten Lehr- und Studienbetrieb war in Gießen bald nicht mehr zu denken. Die Stadt wurde 1944 durch schwere Luftangriffe fast völlig zerstört und am Kriegsende löste sich die Universität auf. In den Wirren der letzten Kriegstage gelang es Klemer, nach Hause zurückzukehren. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, arbeitete sie zunächst in einem Stahlwerk. Parallel dazu besuchte sie die für Kriegsheimkehrer angebotenen Kurse, um ihre Kenntnisse in Physik und Mathematik zu verbessern. Zum Wintersemester 1945/46 erhielt sie den ersehnten Bescheid für die Immatrikulation in den Fächern Physik, Mathematik und Chemie an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster – nach den Kriterien der Berufsaufsicht für Frauen allerdings nur für ein Lehramtsstudium. 

Klemer wird von Ihren Kommilitonen als kameradschaftlich, begeisterungs- und teamfähig beschrieben. Sie kam bestens zurecht mit der bescheidenen, fast ärmlichen Ausstattung in den Laboren und in den abendlichen Gesprächen überzeugte sie ihre akademischen Lehrer von ihrer naturwissenschaftlichen Begabung. Bald befürworteten die Professoren ihren Wechsel vom Studium des Lehramts in die „Vollchemie“ der WWU. Nach der Diplomprüfung im Jahr 1950 begann sie sofort mit ihrer Doktorarbeit unter dem Titel „Über die Synthese von Zucker-Aminosäure-Verbindungen und ein neues Verfahren zur Darstellung von Zuckeranhydriden“. Klemer wurde 1952 promoviert. Ihr Doktorvater war Fritz Micheel (1900-1982), der das Institut für organische Chemie der WWU von 1937 bis 1968 leitete und nach dem Krieg entscheidend am Wiederaufbau der organischen Chemie in Münster mitgewirkt hatte. 

In ihrer Forschung konzentrierte sich Klemer fortan auf die Synthese und den Abbau von Zuckermolekülen. Sie war 1958 die erste Frau, die sich an der WWU für das Fach Chemie habilitierte. Auszüge aus ihrer Habilitationsschrift publizierte sie unter dem Titel „Synthese eines Trisaccharids mit verzweigter Struktur (4-α,6-β-Bis-D-glucosido-D-glucose)“. Der Universität Münster blieb sie ihr ganzes Forscherinnenleben treu: 1963 wurde sie hier zur wissenschaftlichen Rätin, ein Jahr später zur außerplanmäßigen Professorin und 1980 schließlich zur ordentlichen Professorin für organische Chemie ernannt. Fast dreißig Jahre, bis 1986, lehrte und forschte Klemer als Professorin an der WWU. In dieser Zeit betreute sie 54 Doktoranden.

Neben fast 100 wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat Klemer als Autorin und Mitautorin zahlreiche Lehrbücher und Forschungsberichte über die Chemie der Kohlenhydrate verfasst. Darüber hinaus beschäftigte sie sich intensiv mit der Stellung von Frauen in der Wissenschaft und schrieb hierzu schon Ende der 1960er-Jahre eine lesenswerte Monographie. Die Schattenseiten eines Lebens im Dienst der Wissenschaft lernte sie selbst kennen: Sie blieb unverheiratet und kinderlos.

Für Ihr wissenschaftliches und soziales Engagement wurde Klemer 1970 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Seit 2014 förderte sie mit der Almuth Klemer-Stiftung Bildung, Wissenschaft und Forschung in ihrem Fach, unter anderem durch die Vergabe des Almuth Klemer-Stipendiums an Chemiestudierende der WWU. Auch bedürftige Schulkinder aus dem Landkreis Göttingen unterstützte Klemer mit ihrem Privatvermögen. „Ich bin dankbar für ein erfolgreiches Berufsleben, das ohne ein Stipendium und die Förderung durch den Fonds der Chemischen Industrie nicht möglich gewesen wäre“, betonte sie. Mit der Einrichtung ihrer Stiftung wollte sie etwas zurückgeben: „Ich finde es wichtig, dass Begabung durch Leistungsanreize gefördert wird“. 

Almuth Klemer starb im November 2022 im Alter von 98 Jahren.

Dezember 2014: Übergabe der Anerkennungsurkunde an die Stifterin (2.v.l.) durch den Regierungspräsidenten Prof. Dr. Reinhard Klenke (r.) im Beisein der Rektorin der WWU Prof. Dr. Ursula Nelles (3.v.l.) und des Vorstandsmitgliedes der Stiftung Prof. Dr. Armido Studer (l.).
Foto: Bezirksregierung Münster

Quellen

  • C. Wiethoff: Chemikerin aus Leib und Seele – die Professorin Almuth Klemer, in: Lasst sie doch denken: 100 Jahre Studium für Frauen in Münster, S. Happ, V. Jüttemann (Herausgeber), Aschendorff, 2009, S. 301-303
  • A. Klemer: Die Stellung der Frau in Wissenschaft und Forschung, in: Jahrbuch Nordrhein Westfalen/Landesamt für Forschung, 6 (1968), S. 195-207

Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.

Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns 

Redaktionelle Bearbeitung 
Dr. Uta Neubauer

Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)

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zuletzt geändert am: 05.07.2023 17:16 Uhr von K.J.Schmitz