Irmgard Spiess

Irmgard Spiess (1898-1999): Karriere im Familienunternehmen

Irmgard Spiess arbeitete nach dem Chemiestudium zunächst als Assistentin an der Universität Heidelberg und anschließend in der Patentabteilung der BASF. Im Jahr 1927 trat sie in das Chemieunternehmen der Familie ihres Mannes ein. Sie leitete es jahrzehntelang und kam noch im hohen Alter von 100 Jahren regelmäßig in die Firma.

Irmgard Spiess, geborene Hogrefe, kam am 31. August 1898 in Wesel am Niederrhein zur Welt. Mit 18 Jahren begann sie ein Chemiestudium an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg, wo sie 1921 mit summa cum laude promoviert wurde. Ihr Doktorvater Emil Knoevenagel (1865-1921) war ein Schüler der bekannten Chemiker Ludwig Gattermann (1860-1920) und Viktor Meyer (1848-1897) sowie Namensgeber der in Fachkreisen bekannten Knoevenagel-Kondensation, eine wichtige Reaktion zur Knüpfung von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen.

Als erste Frau erhielt Spiess offiziell eine Assistentenstelle an der Universität Heidelberg. Danach arbeitete sie für knapp zwei Jahre in der Patentabteilung der BASF, wo sie auch mit bibliothekarischen Aufgaben betraut wurde. Nach der Eheschließung mit Paul Spiess zog sie nach Kleinkarlbach in die Pfalz. Dort besaß die Familie Spiess eine Farben- und Lackfabrik, die Carl Friedrich Spiess, der Großvater von Paul Spiess, 1861 gegründet hatte – auf Anstoß von Justus von Liebig (1803-1873), mit dessen Nichte der Firmengründer verheiratet war. Im Jahr 1925 nahm die Fabrik die Produktion von Pflanzenschutzmitteln auf, zuerst für den Weinbau und später für den gesamten Agrarsektor.

Nach der Geburt ihrer beiden Söhne trat Spiess 1927 in das Familienunternehmen ein und machte dort Karriere, wie wohl kaum eine andere Frau in der Chemieindustrie. Das Unternehmerehepaar Spiess entwickelte das Unternehmen gemeinsam weiter. Als ihr Mann 1939 zum Kriegsdienst einberufen wurde, steuerte Irmgard Spiess das Unternehmen alleine durch die Kriegswirren und die Nachkriegszeit. Nach der Entlassung ihres Mannes aus der Kriegsgefangenschaft übte das Paar die Geschäftsleitung wieder zusammen aus. Als Paul Spiess 1963 verstarb, führte seine Frau das Unternehmen weiter, zeitweise von ihren Söhnen unterstützt. Sie war über 70 Jahre lang im Unternehmen aktiv, davon viele Jahrzehnte als Geschäftsführerin, und noch mit 100 Jahren kam sie regelmäßig in die Firma. Die Leitung des Unternehmens soll sie bis an ihr Lebensende nicht aus der Hand gegeben haben. Für ihr Lebenswerk erhielt sie das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und den Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz. Irmgard Spiess starb am 28. Januar 1999 im Alter von 100 Jahren an ihrem Wohnsitz Kleinkarlbach.

Die Karriere der Chemikerin Spiess ist ohne Frage bemerkenswert, doch aus heutiger Sicht ist zumindest ein Produkt, mit denen ihr Unternehmen einst handelte, bedenklich. Entscheidend für den Geschäftserfolg war die im Jahr 1943 erfolgte Lizenznahme auf das Insektizid Dichlordiphenyltrichlorethan, kurz DDT, das seit Anfang der 1940er Jahre großflächig als Kontakt- und Fraßgift eingesetzt wurde. Aufgrund seiner Giftigkeit, der Beständigkeit in der Umwelt und der Anreicherung in der Nahrungskette wurde der Einsatz von DDT in den meisten westlichen Industrieländern in den 1970er-Jahren verboten. Weltweit ist die Chemikalie heute nur noch zur Bekämpfung von krankheitsübertragenden Insekten wie der Malariamücke zugelassen.

Quellen

  • G. Oberste-Lehn: Firmenlegende aus Kleinkarlbach. Dr. Irmgard Spiess. „La grande Dame“ der pfälzischen Wirtschaft, in: Heimat Jahrbuch 2001 Landkreis Bad Dürkheim
  • gechem.de/ueber-uns/geschichte/

Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.

Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns 

Redaktionelle Bearbeitung 
Dr. Uta Neubauer

Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)

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zuletzt geändert am: 05.12.2022 13:29 Uhr von K.J.Schmitz